SEELEN-STRIPTEASE - 1. Termin beim Trans-Spezialisten

@asperger-kids · 2018-03-06 16:20 · deutsch

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Gestern hatte ich meinen ersten Termin bei Psychiater.

Ich hab keine Ahnung, was ich erwartet hatte, immerhin war ich mit anfang zwanzig schon einmal in Therapie und wurde als Kind mehrmals zu Psychologen geschleppt, ich besitze als quasi reichlich Erfahrung mit sowas.

Trotzdem ist es immer wieder merkwürdig und macht mich persönlich nervös. In diesem Fall aber besonders. Ich wusste ja, dieser Mann hat eine gewisse Macht über mein Leben, er muss das medizinische OK geben für dass, was ich haben will. Ich kann nicht einfach hingehen und mir die Behandlung kaufen, sondern es müssen am Ende mehrere Fachpersonen damit einverstanden sein und der behandelnde Psychiater ist die erste Instanz.

Die Gemeinschaftspraxis war klein, schlicht und neutral eingerichtet. Ich war zu früh, weil die Deutsche Bahn ausnahmsweise keine Verspätung hatte und wenige Minuten nach mir, betrat ein augenscheinlich lesbisches Pärchen den Raum.

Wer von den Beiden den Termin hatte, war offensichtlich. Vermutlich setze ich mich hier jetzt in tausend Nesseln aber die zwei spiegelten für mich das absolut typische Lesben-Paar wieder. Die eine sehr weiblich, oberflächlich, so Pornodarstellerinmässig gekleidet und die andere war eindeutig der männliche Part. Raspelkurze Haare, Piercing, Jeans mit Hosenträger und Hemd und hellbraunen Holzfällerstiefel. Ausgesprochen lässig, kaugummikauend und breitbeinig setzte sie sich neben die Tussy-Freundin, verschränkte die Arme vor der Brust und hielt einen Monolog über Muskelaufbau und Männer im Fitnesscenter.

Für die nächsten 20 Minuten unterdrückte ich den Impuls, schreiend wegzurennen, und dachte mir nur, oh mein Gott ... was mach ich hier eigentlich? Das machohafte Gehabe führte bei mir zu leichtem Brechreiz und ich fragte mich, ist das männlich? Denn jeder würde an dieser Person auf den ersten Blick die männlichen Züge erkennen, während das bei mir definitiv nicht der Fall ist. Ich kam dann für mich zum Schluss, dass dieses Verhalten kein grundsätzliches Zeichen für Männlichkeit ist, sondern für Dummschwätzer und Deppen.

Ich möchte hier an dieser Stelle erwähnen, dass mir die Sexualität anderer Menschen per se egal ist und ich damit absolut keine Probleme habe, jedem bitte wie er sich hingezogen fühlt. Es geht mehr um die Beobachtung dieser, vermutlich transsexuellen Person die so im Kontrast zu mir selber stand und für mich Fragen aufwarf und mir mit ihrem Verhalten unangenehm war.

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So ein Termin beim Psychiater ist etwas Merkwürdiges.

Dieser Mensch kennt mich ja nicht, ich bin nur ein Name auf seinem Terminkalender. Man hat keine Verbindung, keine Nähe aber irgendwie auch keine Distanz.

»Weshalb sind Sie nochmal hier Frau ... wie war bitte nochmal Ihr Name?« »XXXX« »Ach ja genau. Dann erzählen Sie mal.« Sprach er und setzte sich mir gegenüber, überschlagene Beine, einen leeren Notizblock auf dem Knie, sehr fülliger Bauch, Halbglatze und schneeweiße Haare. »Ehm ja also...« Meine Handyhülle ist magnetisch und wenn ich nervös bin, klappe ich permanent den Verschluss auf und zu, klapp, klapp klapp.. »Also ich fühle mich als Mann aber sie sehen ja, ich bin im Körper einer Frau.« »Aha, Transmann also. Und wie denken Sie, kann ich Ihnen helfen?« »Ähm... Sie sind doch hier der Arzt.« »Ich werde sehr direkte Fragen stellen. Wir haben nicht viel Zeit und ich möchte die 40 Minuten voll ausnutzen um mir ein Bild von Ihnen zu machen. Wollen Sie ihr Geschlecht ändern, Hormone nehmen, Brüste weg, Penisaufbau, Namensänderung, oder wissen Sie noch nicht, was davon Sie brauchen?« »Doch ich möchte gerne Testosteron und eine Mastektomie, natürlich dann auch die Vornamensänderung, das wär ja sonst merkwürdig.« »Dann haben Sie sich schon informiert. Sehr gut, seit wann fühlen Sie sich im falschen Geschlecht?«


Ich kann euch eins sagen, besonders angenehm war das nicht. Der Mann stellte mir Fragen, die kann ich hier gar nicht wiedergeben, weil jenseits von jugendfrei. Zurückhaltung und Scham sind keine Begriffe die ich mit ihm in Verbindung bringen würde und obwohl ich ein sehr offener Mensch bin, kam ich mehrmals ins Schleudern, weil mich die Direktheit überrumpelt hat. Er hat immer wieder abrupt im Gespräch die Richtung gewechselt. Einmal stellte er mir eine Frage zu meiner Mutter und als Nächstes wollte er wissen, ob eine Brustverkleinerung statt einer Anpassung an die männliche Brust auch eine Option sei. Ich muss etwa so geguckt haben:

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»Sehr gut, Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wollen sie wirklich keine weibliche Brust, was für einen Mann ja auch keinen Sinn ergeben würde. Könnten sie sich vorstellen, mit einer Frau Geschlechtsverkehr zu haben und mögen sie Brüste an Frauen?«

Nach den 40 Minuten war ich froh, dass dieses Gespräch keine 60 Minuten dauerte und bei mir will das was heißen, weil ich normalerweise jeden und alles in Grund und Boden quassel.

Am Ende kam ich mir ziemlich nackt vor, während mein Gegenüber ein Fremder blieb. Natürlich muss das so sein, ist mir schon klar und dennoch fühlte es sich etwas verletzend an. Immerhin vertraute ich diesem Menschen Dinge aus meinem Leben an, die für mich schmerzhaft sind und unglaublich persönlich. Persönlicher als alles was ich jemals hier teilen würde. Ich gebe ihm damit Macht über mein Leben und muss darauf vertrauen, dass diese Macht nicht gegen mich verwendet wird.

Ich bekam einen neuen Termin für ende März und die Nummer eines sogenannten Endokrinologen. Der ist Facharzt für Hormone und muss abklären, ob ich überhaupt Testosteron nehmen darf. Hätte ich z.B Schilddrüsenprobleme, wäre das eine Kontraindikation für eine Testosteron-Therapie und damit müsste dann zuerst die Schilddrüse behandelt werden.

Die erfreuliche Nachricht für mich, der Endokrinologe hat mir einen Termin gegeben, die schlechte Nachricht, der frühestmögliche Termin war anfang MAI....

Vielleicht sollte ich auch direkt einen Beratungstermin zur Mastektomie (Brustentfernung) machen lassen, der wäre doch dann eh frühestens im Juli möglich.... also die Beratung, nicht die Op...

Ich mein, bei mir ist das kein Drama, etwas scheiße find ich es schon, ich weiß lieber sofort, ob ich überhaupt gesund genug für Testo bin, sicher ist sicher.... aber was ist mit den Menschen, bei denen die Sache akut ist? Wenn jemand stärker darunter leidet als ich, sind 8 Wochen eine verdammt lange Zeit.

Ich kann jetzt nicht sagen, ich freue mich auf den 2. Termin aber ich bin sehr erleichtert das der Psychiater mein Vorhaben unterstützt und der Meinung ist, ich sei ein eindeutiger Fall und mache einen klaren, adäquaten Eindruck.

Was ich sehr spannend finde, generell, die Unterschiede zu Deutschland. In DE gibt es oft die Vorgabe, mindestens 1 Jahr in therapeutischer Behandlung sein zu müssen, bevor man Testosteron nehmen darf.

Man begründet es hauptsächlich damit, dass der Psychiater eine große Verantwortung trägt und mit seinem OK einem Menschen erlaubt, seinen Körper massiv zu verändern. Dazu seien eben mindestens 13 Sitzungen nötig. Hier in der Schweiz gibt es diese Regen nicht mehr. Es wird davon ausgegangen das ein Erwachsener, psychisch gesunder Mensch mit einer transsexuellen Selbstwahrnehmung durchaus in der Lage ist, für diese Entscheidung selber die Verantwortung zu übernehmen. Dennoch wird eine psychologische Begleittherapie vorgeschrieben, was ich durchaus gut finde. Ich bin aber froh, werde ich als mündiger Mensch mit klarem Verstand behandelt und nicht als psychisch kranke Person. Damit hätte ich nämlich wirklich große Schwierigkeiten.

Denkt ihr eher, jeder sollte selber sein Tempo bestimmen dürfen und ist für seine Entscheidung eben selber verantwortlich oder findet ihr diese zeitlichen Vorgaben in Deutschland besser, die einem zwangsweise jede Menge Bedenkzeit verschaffen?

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(Bildquelle Pixabay CC0 Lizenz)

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