Was hat mich nur dazu gebracht, jetzt über solch alte Kamellen zu schreiben. Es war das Thema des "Day 41: A song you like listen to at a camp-fire" von der #song-challenge. Als ich Lagerfeuer las, wurden bei mir sofort Erinnerungen wach, an die sich vielleicht auch noch einige Steamianer der älteren Jahrgänge erinnern. Dieser Artikel ist übrigens nicht frei von Zynismus. Da ich unsicher bin, welche Liedtexte man überhaupt noch veröffentlichen darf, wurden diese gekürzt oder ganz darauf verzichtet. Die einzelnen Liedertexte kann man auf lieder-archiv.de nachlesen. Dies ist keine Empfehlung von mir, sondern dient rein als Quellenangabe.
In den 60er Jahren hatte wohl fast jedes Kind das rote Büchlein in der Brust- oder Hosentasche dabei. Ich meine jetzt nicht dieses rote Mao Büchlein, das trug ich erst Jahre später demonstrativ in der Schultasche umher. Ich meine die Mundorgel, dieses allumfassende Werk aus Kirchen-, Kinder- und Volksliedern.
Jungschar nannte es sich, wo ich immer jeden Donnerstag um 15:00 Uhr hinlief. Hier traf man sich mit gleichaltrigen Jungs im evangelischen Gemeindehaus, um den Tag irgendwie rum zubekommen. Man machte Spiele, bastelte Segelflieger, besuchte Museen und man fuhr auch für ein paar Tage ins Zeltlager. Mit dabei war natürlich immer die Mundorgel, die man als ordentliches Jungschar Mitglied besitzen musste.
Das Highlight waren die Fahrten in ein Zeltlager. Wenn man am Abend zusammen am Lagerfeuer saß, der Jungscharleiter auf seine Klampfe eindrosch, wurde natürlich dazu gesungen. Ein trauriges Beispiel dieses hochbrisanten Liederguts ist Bolle reiste jüngst zu Pfingsten. Ich mochte dieses Lied sehr gerne. Als Beispiel hier die dritte Strophe des Liedes, diese sollte uns als Kinder, schon vor dem Schlimmsten warnen.
Auf der Schönholzer Heide, Da jab’s ’ne Keilerei, Und Bolle, jar nich feige, War mittenmang dabei, Hat’s Messer rausjezogen Und fünfe massakriert. Aber dennoch hat sich Bolle Janz köstlich amüsiert.
Das harmloseste Lied, was immer gerne angestimmt wurde, war Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad. Das Lied wird auch heute noch gerne von Kindern gesungen, aber damals durfte der Goldfisch noch Pfeife rauchen.
Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad Motorrad, Motorrad meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad meine Oma ist ´ne ganz patente Frau
Meine Oma hat nen Goldfisch, der raucht Pfeife Pfeife, Pfeife Meine Oma hat nen Goldfisch, der raucht Pfeife meine Oma ist ´ne ganz patente Frau
Ein anderes lustiges Kinderlied, auch wenn gleich in der ersten Strophe alle kalt gemacht werden, war Wo ist die Kokosnuß?. Wir sangen das Lied ohne Hintergedanken und irgendwelche Zweideutigkeiten lagen uns fern. Affen waren für uns diese Tiere, die in den Bäumen umher klettern!
Die Affen rasen durch den Wald Der eine macht den andern kalt Die ganze Affenbande brüllt: Wo ist die Kokosnuß? Wo ist die Kokosnuß? Wer hat die Kokosnuß geklaut?
Für die Meisten ist es unvorstellbar, wie wir damals ein offenes Lagerfeuer am See machen konnten, denn heute ist dies bei Strafe verboten. So verhält es sich auch mit Liedern, keiner hätte damals gedacht, dass so etwas mal unter Diskriminierung fällt. Lauthals sangen wir nicht vom lustigen Leben auf dem Balkan (abgeleitet vom Schnitzel Balkanart), sondern Lustig ist das Zigeunerleben. Wikipedia verzichtet auf die Veröffentlichung des Liedtextes, also mache ich das lieber auch.
Ein anderes gern gesungenes Lied war Zehn kleine Negerlein, welches in den 60er und 70er Jahren als vollkommen harmlos galt. Erst in den 80er Jahren wurde der Reim als rassistisch und diskriminierend abgestempelt. Das gleiche Schicksal erfuhr der berühmte Roman von Agatha Christie, dieser erschien ebenfalls ab 1985 unter einem anderen Titel.
Hier ein Cover mit politisch korrektem Text.
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Halt's Maul Mundorgel und tschüss
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Eines muss man zum Glück noch sagen, meine Mundorgel (Auflage von 1964) war schon die entschärfte Fassung. In den Auflagen davor, waren noch Lieder aus der Zeit des Nationalsozialismus und auch militärische Lobgesänge vertreten. In den folgenden Jahren, sollten nicht nur viele Lieder aus der Mundorgel verschwinden, sondern auch die Auflage hatte einen großen Schwund zu verzeichnen. Der Mundorgel Verlag macht kein Geheimnis daraus und gab diese Zahlen selbst bekannt.
Es ist sicherlich heute das meistverbreitete Liederbuch, obwohl leider das Singen - sowohl in der Schule als auch in der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit aus mancherlei Gründen rückläufig ist. Besaß Anfang der 70er - Jahre noch jedes zweite Kind (im Alter von 10-15 Jahren) eine mundorgel, war es Anfang der 90er - Jahre nur noch jedes vierte Kind (im Alter von 10-15 Jahren) und ab Mitte der 90er - Jahre nur noch jedes sechste Kind (im Alter von 10-15 Jahren).
Dies war jetzt natürlich nur ein kleiner Einblick in meine Welt der Volkslieder, wie ich es in den 60er Jahren, als evangelisches Kind des Westens in Bayern erlebt habe. Mich würden natürlich noch weitere Fehlgriffe der früheren Volksliederkultur und deren Geschichten interessieren. Werft doch einfach unter dem tag #mundorgel etwas in die Runde.
Unter anderem würde ich mich natürlich besonders auf Beiträge der Musikkenner @condeas, @muelli, @prinzvalium und @w74 freuen.