Kontrollverlust

@dirkzett · 2025-10-29 10:13 · deutsch

https://www.youtube.com/watch?v=xNXyDyhzKG8&list=PPSV

Zwei Ereignisse haben meinen Spaß am alleinigen Schnorcheln im Ozean empfindlich getrübt. Und ich habe keine Ahnung, wie ich meine alte Freude wiederfinden kann. Seit diesen beiden Momenten fühle ich mich mehr oder weniger ständig in Gefahr, sobald ich im Wasser bin.

Das erste Ereignis war eigentlich ein wunderschöner Moment. Ich war vielleicht hundert Meter vor der Küste, schnorchelte entspannt über das Riff und beobachtete einen kleinen Bambushai. Er glitt gemächlich durch die Korallen, fast tänzelnd, als würde er jeden Spalt, jede Bewegung des Meeresbodens kennen. Ich trieb an der Oberfläche, ließ mich von der Dünung wiegen und sah ihm bestimmt zwanzig Minuten zu. Es war fast meditativ. Der Hai hatte keine Angst vor mir, vor dem Schatten, den ich auf die Wasseroberfläche warf.

Dann drehte ich mich um. Hinter mir zog ein anderer Hai seine Bahn – ruhig, majestätisch, aber nah. Kein Tigerhai, kein Bullenhai, vermutlich nur ein Schwarzspitzen- oder Grauhai. Doch in diesem Moment war das egal. Ich spürte, wie nackt ich war. Nur Maske, Schnorchel, Flossen – kein Schutz, keine Kontrolle. Ich konnte nicht einfach im Wasser stehenbleiben, um ihn zu beobachten. Ich konnte mich nicht auf den Grund absinken lassen. Ich musste mich bewegen, musste atmen, auftauchen, paddeln. Und jedes Mal, wenn ich auftauchte, verschwand er unter mir im Blau. Ich wusste nicht, wo er war. Nur, dass er da war. Ich schwamm zurück. Kontrolliert panisch, wie man so sagt. Jede Bewegung zu schnell, zu laut, zu sichtbar. Hundert Meter, die sich anfühlten wie tausend. Ich ging an Land – an einen Ort, an dem ich sonst nie freiwillig an Land gegangen wäre.

Das zweite Ereignis war keines, das ich selbst erlebt habe. Auf einer beliebten Taucherinsel, vielleicht fünfundzwanzig Kilometer entfernt von meinem Lieblingsriff, wurden zwei Taucher von Haien angegriffen. Getötet. Zerfetzt, hieß es. Tigerhaie oder Bullenhaie, wahrscheinlich. Fünfundzwanzig Kilometer – für einen Hai ist das ein Nachmittagsspaziergang.

Und seit ich weiß, dass Tigerhaie auch Schildkröten jagen, und unsere Strände voller Schildkröten sind, ist die Angst nicht mehr zu vertreiben. Sie sitzt tief. Irrational vielleicht, aber sie bleibt.

Und dabei bin ich kein Anfänger. Ich habe als Tauchlehrer gearbeitet, bin mit Schülern in Höhlen getaucht, in denen wir genau wussten, dass Haie dort sind. Wir haben es bewusst auf Konfrontation angelegt. Doch ich fühlte mich immer sicher. Mit Tank, mit eigener Luft, mit Kontrolle. Ich wusste, dass ich im Notfall reagieren konnte. Aber das alles hilft mir nicht, wenn ich heute schnorchle. Da bleibt nur das Meer – und das Wissen, wie klein man darin ist.

#deutsch #ausgewandert #philippinen
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