Von Greta, Greisen und ihren Lagern

@gammastern · 2019-03-31 19:21 · thunberg

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Ich vermeide es hier politisch zu werden. Viele Menschen neigen dazu sehr stark emotional zu projeziieren und im besten Fall wundert sich Gegenüber darüber, wieso mit einer solchen Härte auf ihn eingedroschen wird. Trifft es nicht so gut, dann ist die Gegenseite auch nicht reflektiert und sie beginnt in der gleichen Art und Weise auf den Aggressor loszugehen. Am Ende hat man dann nur den Beweis dafür erbracht, dass wir Menschen eben vom Primaten abstammen und uns in Streßphasen mit Scheiße bewerfen und laut rumbrüllen bis der Eindringlich das von einem beanspruchte Terrain wieder verlässt.

Gerade hier in Deutschland ist die Diskussionskultur in einer Art und Weise destruktiv, dass es mich oft sehr beschämt überhaupt dazu zu gehören. Wir sind eine Gesellschaft, die es verlernt hat vernünftig zu diskutieren und Argumente auszutauschen oder gar Kompromiss zu finden. Wir lieben es das Gegenüber zu verletzen, zu vereinnahmen und alles nieder zu machen, dass nicht unsere Meinung ist. Das man vielleicht ja sogar selbst falsch liegt mit seinen Ansichten würde den meisten Bürgern gar nicht in den Sinn kommen.

Für mich ist dies oft wie die berühmte Stelle aus 1984 in der sich die Bevölkerung zum 2-Minuten-Hass täglich treffen um kollektiv die Verachtung gegenüber den Feind zum Ausdruck zu geben:

„In einem lichten Augenblick ertappte sich Winston, wie er mit den anderen schrie und trampelte. Das Schreckliche an der Zwei-Minuten-Hass- Sendung war nicht, dass man gezwungen wurde mitzumachen, sondern im Gegenteil, dass es unmöglich war, sich ihrer Wirkung zu entziehen. Eine schreckliche Ekstase der Angst und der Rachsucht, das Verlangen zu töten, zu foltern, Gesichter mit einem Vorschlaghammer zu zertrümmern, schien die ganze Versammlung wie ein elektrischer Strom zu durchfluten, so dass man gegen seinen Willen in einen Grimassen schneidenden, schreienden Verrückten verwandelt wurde. Und doch war der Zorn, den man empfand, eine abstrakte, ziellose Regung, die wie der Schein einer Blendlaterne von einem Gegenstand auf den anderen gerichtet werden konnte.“ - George Orwell – 1984

Aus genau dem gleichen Grund mag ich Politik hier im Netz überhaupt nicht. Es ist meist mehr als nur ein 2-Minuten-Hass, aber bei so mancher Diskussion kommt mir in den Sinn wieviele Familienväter dort wohl darunter sind, die sich im Netz austoben und danach dann wieder brav zu ihren Familien gehen und ein ganz normales Leben führen. Bei dem dann so mancher wieder zur Arbeit geht und die Kollegen über ihn sagen:“Der ist eigentlich ein ganz ruhiger Typ“. Mir macht so etwas bei näherer Betrachtung irgendwie Angst.

Genauso blicke ich ein wenig mit Sorge auf die aktuelle Diskussionskultur rund um die „Fridays for Future“ und das eben die Jugend aufbegehrt für eigene Ziele. Und falls jemand nun bereits wieder das Adrenalin in sich verspürt, sollte er ein wenig tief durchatmen und einmal ganz in Ruhe weiter gehen. Mir geht es nämlich überhaupt nicht um die „Future“ an sich.

Ich glaube ich habe hier oft bereits genug zum Ausdruck gebracht, dass ich ein Freund von Nachhaltigkeit bin, aber keineswegs ein Öko. Ich glaube, dass man nicht auf dem großen Fuss leben sollte, sondern immer ein wenig im Sinn haben wie groß der Kostennutzenfaktor einer Sache ist. Ein kompakter Wagen ist mir wichtiger als ein Sportwagen. Ich kann meine Sachen beim Supermarkt auch in einer Ikea-Tasche einpacken und brauche keine Plastiktüte.

Aber ich glaube nicht daran, dass man mit Verboten Umweltproblemen nachkommt. Jeder gibt sein Lippenbekenntnis ab etwas zu tun und am Ende siegt eben doch der Komfort. Daher bin ich Technologiegläubiger und denke, dass wir nur durch technischen Fortschritt und der Entwicklung genauso komfortabler Lösungen, die nur nachhaltiger sind den einzigen Weg aus dieser Krise finden werden.

Gleichzeitig bin ich noch nicht alt und doch soweit weg von der Jugend, dass ich nicht mehr daran glaube, dass es in der Gesellschaft „einfache“ Lösungen für Probleme gibt. Zu unterschiedlich und verwegen sind die Interessen einzelner Personengruppen.

Aber wenn ich die Reaktionen auf Greta Thunberg und ihren Mitdemonstranten im Netze sehe, wird mir wirklich speiübel. Ein geballter Hass in einer Art und Weise wird ihnen entgegen gebracht, dass ich mich wirklich fremdschäme. Das fängt mit eher „harmlosen“ Dingen an wie ihrem Autismus. Und obwohl die meisten Menschen vermutlich überhaupt gar keine Ahnung haben, was die Asperger-Form überhaupt vom klassischen Autisten unterscheidet, wird dies als Instrument der Herabwürdigung genommen.

Was kann Greta den für ihre Erkrankung? Es ist eine Form von Krankheit, die man sich nicht aussucht oder eine Folge eines ungesunden Lebensstils ist. Es macht die soziale Interaktion für sie schwer und sich entsprechend vernünftig auszudrücken. Umso mehr sollte man vielleicht hinsehen, wenn sie sich trotz allem vorne in der Öffentlichkeit hinstellt und etwas sagt.

Was wollen uns also jene Leute sagen, die versuchen ihre Glaubhaftigkeit über die „Krankheit“ anzugreifen. Das Menschen mit „Behinderungen“ (jedlicher Art) kein Recht darauf haben in der Gesellschaft ihr Anliegen vorzutragen? Das man als Betroffener einfach die „Fresse halten“ solle und sich still und schweigend zurück in die eigenen 4 Wänden zurück ziehen muss. Das es Menschen gibt deren Meinung mehr wiegt als die anderer?

Aber wie gesagt wir sind da ja noch im harmlosen Spektrum. Man solle gegen die Schulschwänzer „Polizei“ und „Wasserwerfer“ einsetzen. Gewalt als ädaquates Mittel des politischen Meinungsaustausches? Und das ausgerechnet von der 68-Generation, die selbst den ganzen Tag nur bekifft in der Wohnung gehockt hat und über Weltfrieden sinniert hat? Polizei setzt man gegen Straftäter ein und nicht gegen Kinder und Jugendliche. Schuleschwänzen ist übrigens keine Straftat und damit Sache der Polizei, sondern Aufgabe des Ordnungsamtes und primäres Ziel sind dabei die Eltern.

„Früher hätte man die ins Arbeitslager gesteckt“ echauffiert sich ein vermutlich bereits älterer Herr und ein anderer steht ihm applaudierend bei: „Und vergast hätte man die auch!“. Da fragt man sich schon ein wenig, ob es sich hierbei vielleicht um ein geschickt choreographisch einstudiertes Theaterstück handeln könnte, wenn der eine Teil etwas denkt und versucht dies zu kaschieren... und gleichzeitig ein anderer es offen ausspricht und damit sofort zu nichte macht.

Das wir hier unlängst das demokratische Spektrum verlassen haben, brauche ich hoffentlich niemanden mehr zu erklären. Wir vergasen nämlich bereits schon eine ganze Weile nicht mehr Leute, die uns nicht in den Kram passen. Und auch Arbeitslager gehören nicht unbedingt zu den zeitgemäßen Umgang mit Straftätern aus eben so diversen Gründen.

Normalerweise ist das „Kind“ ja die heilige Kuh des Deutschen und jeder wird sich flammenden Herzens dazu bekennen, dass diese unsere Zukunft seien. Merkwürdiger weise bekommen die beiden Herren daraufhin viel Zustimmung im Netz. Kinder vergasen ist okay, solange es eben nicht die eigenen sind und nur ein abstrakter Feind. Eine autistische Anomalie mit bösen Blick, die einem wagt zu Widersprechen?

Ein solches „Todschlagargument“ ist natürlich für eine politische Diskussion eine sehr zweifelhafte Art und Weise mit dem Thema umzugehen. Und ein jeder der zu dieser klatschenden Mob gehört, sollte dringend ein wenig Baldrian nehmen und sich einmal fragen, was da eigentlich so im Moment der Entgleisung von statten geht. Denn aus meiner Sicht liegt hier durchaus bereits der psychologische Gefährdungstat vor und bedarf eine Krisenintervention.

Versuchen wir also einmal den Gesamtkontext zu verstehen. Kinder, die unserer Ansicht nach die Zukunft darstellen, begehren auf gegen die Älteren, da sie Angst haben keine Zukunft mehr zu haben. Oder noch abstrakter gesagt, weil wir für unsere Zukunft Ziele anpeilen, die keine für sie sind. Wir können sie natürlich nun dazu zwingen, würden aber nur einen Haufen von frustrierten Kindern erhalten, die uns am Ende hassen würden. Das ist eine valide Zukunftsoption! Aber vielleicht eben doch eine andere als viele von uns im Sinn kommt.

Gleichzeitig stehen diese jungen Leute einer immer stärker wachsenden Gruppe von älteren Gegenüber. Das demographische Problem ist eben nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein Gesellschaftliches. Wie stellen wir eigentlich sicher, dass Zukunftsthemen nicht vollends an uns vorbei gehen? Sind vielleicht Themen wie Schulden, Umwelt oder das Internet nicht Themen, die besser bei jenen aufgehoben sind, die auch noch damit leben müssen und nicht bereits in einigen Jahren abdanken?

Früher gab es Prozesse, dass man versuchte die Fähigsten in Positionen zu kriegen. Und ja ein solider 80-jähriger, der sich ein Leben lang mit dem Aufbau des Internets befasst hat, kann dort vielleicht auch wesentlich mehr beisteuern als ein 15-jähriger Twitter-Nutzer. Es geht hier nicht um eine Form von Altersdiskriminierung! Aber jeder sollte einmal ehrlich sein, wie oft er in der Gesellschaft erlebt, dass völlig inkompetente Menschen glauben die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und sich entsprechend profilieren.

Vielleicht muss man da eben auch bei einigen Themen einmal erlauben, dass Betroffene im Gestaltungsprozess beteiligt werden. Die Demokraten dieses Landes tun dies. Fast überall gibt es auf kommunaler Ebene Formen der Jugendbeteiligung. Fast überall werden diese nicht genutzt. Denn ein 18-Jähriger will auch nicht darüber befinden wie der Spielplatz ausgebaut wird. Auch der erkennt, dass die wichtigen Entscheidungen und Budgets von oben gegeben werden.

Aber als Gesellschaft sollte es uns vielleicht mehr interessieren, dass wir jeweils die besten Leute in die Position kriegen. Und wenn uns dies nicht gelingt, dann wenigstens jene die die Suppe auslöffeln müssen. Altern bedeutet eben auch Weisheit zu erlangen und dazu sollte auch gehören zu erkennen, dass man nicht mehr bei allen Themen mitreden kann. Das geht mir sogar manchmal schon so! Und das obwohl ich mich für sehr offen halte und viel lese.

Wahre Größe bedeutet eben auch einmal einzugestehen, wenn man etwas nicht mehr vollends versteht und sich nicht umso fester an etwas zu klammern, je mehr es einen innerlich verbrennt. Das Zepter an die nächste Generation sollte man nicht dann abgeben, wenn man in die Kiste springt, sondern eben dann, wenn man merkt, dass diese bessere Entscheidungen trifft als man es selbst tun könnte.

Lassen wir nun die Freunde des Gases auf unsere frustrierten Kinder los, während wir stillschweigend oder gar applaudierend an der Seite stehen, was soll das Ergebnis sein? Irgendwann geraten die Fronten aneinander und es entlädt sich. Ja, es gibt Leute die diskutieren bereits heute über Autofreie Dörfer. Ich laufe regelmäßig kreidebleich an und frage mich in was für einer Welt diese Leute eigentlich zu Hause sind. Ich will keine Ökodiktatur in diesem Land. Ich will auch keine Diktatur mit Vernichtungslagern. Ich will eigentlich überhaupt keine Diktatur!

Natürlich sind nicht alle Forderungen von Greta und Co umzusetzen. Ich habe mich zeitlebens gegen Kernenergie eingesetzt aus diversen Gründen. Und ich habe diese Entscheidung nicht auf Grund eines emotionalen Affekts getroffen, sondern wohlüberlegt. Eben auch mit dem Wissen, dass ich dafür einen Preis zahlen werde. In Form der Stormrechnung, in Form von anderen Technologien, die ebenfalls negative Aspekte haben. Und trotzdem habe ich mich bewusst dafür entschieden. Tritt nun eine Greta auf und fordert über Kernenergie nachzudenken, dann löst dies in mir Betroffenheit aus.

Aber man sollte ihnen auf normale Weise begegnen, ihnen zuhören und versuchen ihre Argumente zu entkräften. Gelingt dies nicht, könnte es ein Indikator dafür sein, dass sie vielleicht im Recht sind. Und wer weiß, vielleicht entsteht in diesem (gar demokratischen) Prozess ja durchaus das eine oder andere in dem die „Profis“ sagen, dass man mit wenig Aufwand eine ganze Menge erreichen könnte.

Man denke nur mal an die Tierversuchdiskussionen in den 90er. Die einen schreien „Die Tiere, die Tiere!“. Auf der anderen Seite stehen Leute, die sich verwundert die Augen reiben und sich fragen, ob man dort gerade wirklich fordert pharmazeutische Mittel direkt am Menschen oder gar überhaupt nicht mehr zu entwickeln. Und natürlich haben die Tierschützer unrecht gehabt. Trotzdem haben wir eben vermutlich gerade aus den Diskussionen von damals heutzutage synthetische Haut, die nicht nur wesentlich mehr Informationen über die Beschaffenheit von Mitteln liefern kann, sondern auch noch günstiger sind. Ganz ohne Tierversuche.

In diese Richtung sollte man in der Diskussion denken. Sich fragen, wo eigentlich das Problem der Kinder und Jugendlichen sind und ob man diese zumindest in Form von Kompromissen einfach heilen kann. Oder eben dadurch, dass man die Rädelsführer mit in die Verantwortung nimmt und ihnen aufzeigt, dass etwas zu fordern eine andere Sache ist als es umzusetzen. Das man eben auch für seine Ziele immer einen Preis zahlen muss und dieser benannt werden muss. Das alles im Leben nur ein Trade-Off zwischen unterschiedlichen Optionen ist.

Vielleicht sollten wir dies künftig unseren Kindern eher vermitteln als das emotionale Ausbrüche, Gewalt und ... Lager... ein vernünftige Gestaltungsmöglichkeit für die Zukunft ist. Denn blicke ich so in die Kommentare unter so manchen Artikel, dann bin ich fast froh darüber, dass die Kinder noch so konstruktiv damit umgehen und nicht durch die Straßen laufen und Autos abfackeln. Darüber das sie einen demokratischen Prozess wählen und von der Politik mehr Aktivität fordern.

Dies ist wesentlich weiser als so manches Verhalten jener, die angeblich über bereits ach so viel Lebenserfahrung verfügen. Aber jede Gesellschaft bekommt die Kinder, die sie verdient. Und da kommen wir Erwachsenen wirklich noch mit einem blauen Auge davon und regen uns auf hohem Niveau auf. Wartet erst einmal ab bis die Kinder wieder zur Schule gehen, Mathematik lernen und nachrechnen was die Rentenanpassungen der letzten Jahre eigentlich für sie bedeuten...

Ohne mich also thematisch auf eine Seite stellen zu wollen, muss ich objektiv anmerken, dass bei vielen Leuten in der Gesellschaft scheinbar sehr schnell eine Sicherung rausfliegt. Wir wären alle sehr gut beraten, wenn wir darüber häufiger ein wenig sinnieren würden und unseren 2-Minuten-Hass lieber durch eine Atmenübung daheim ersetzen würden. Ein zunehmende Emotionalisierung von politischen Diskussionen wird uns nämlich weit weg von dem führen, was wir als Gesellschaft leisten könnten. Und unterm Strich vermutlich größeren Schaden als eine globale Klimaerwärmung...

Und um es nochmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Es geht mir in diesem Beitrag keineswegs um Greta oder Ökologie. Ich prangere die Diskussionskultur mancher angeblich erwachsener Menschen im Netz an und mahne dazu ein wenig häufiger den Kopf einzuschalten. Was dann als Ergebnis dabei rauskommt, lasse ich bewusst offen.

#thunberg #politik #gesellschaft #jugend #deutsch
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