Jeder Mensch weist eine immense Vielfalt von Eigenschaften, Merkmalen und Eigenheiten auf. Keiner gleicht völlig einem anderen. Zu diesem Potpourri gehören beispielsweise Lebensalter, Aussehen, körperliche Fitness, Kommunikationsverhalten, Ausbildung, Beruf, Interessen, Antrieb, Willensstärke, Mut, Vertrauenswürdigkeit, Religion, Überzeugungen, Humor und Persönlichkeitstyp. Diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig, aber sie genügt zur Bewusstmachung dieser intuitiv klaren Tatsache für die weiteren Ausführungen. Zu beachten ist ferner, dass all diese Attribute über die Zeit einem fortwährenden Änderungs- und Anpassungsprozess unterliegen.
Im Laufe eines Lebens finden stets Begegnungen mit anderen, bislang unbekannten Menschen statt. Viele davon sind flüchtig, aber zuweilen entsteht ein Kontakt, der in bestimmten gleichgelagerten Interessen, besonderen Umständen oder Betätigungen begründet ist. In der Regel ist hierbei nur ein Teil der Persönlichkeitsattribute involviert. Man geht gemeinsam zum Studium, zur Arbeit, zum Wandern, Tanzen oder zu kulturellen Veranstaltungen. Hierbei herrscht meist Harmonie zwischen den Beteiligten. Bereits in diesem Anfangsstadium sind Aufrichtigkeit, Fairness und Hilfsbereitschaft förderlich.
Oft wird in der Folge eine Ausweitung der Beziehung auf andere Lebensbereiche versucht; man erkundet die Breite, aber auch die Tiefe des anderen. Eine Steigerung von Bekanntschaft über Kameradschaft hin zu Freundschaft bekommt eine Chance. Dieses Näherrücken bringt eine Erhöhung von Vertrauen und Zuneigung mit sich, birgt aber auch eine steigende Gefahr von Diskrepanzen und unerwarteten Enttäuschungen. Daher ist besonders in dieser Phase ein hohes Maß an Achtsamkeit, Einfühlungsvermögen und Behutsamkeit angezeigt. Sobald nämlich eine ernsthafte Erschütterung der Beziehung eingetreten ist, gleitet sie entweder auf ein tieferes Niveau hinab oder kommt zu einem abrupten, unerfreulichen Ende. Bleiben hingegen derartige Brüche aus oder werden durch eine ehrliche Aussprache überwunden, so kann eine tiefergehende, langanhaltende Freundschaft entstehen. Dies wird - bei ehrlicher Betrachtung - ein seltener, glücklicher Fall sein.
Eine besondere Stellung nehmen die familiären Bande ein. Seine Eltern, Geschwister und weitere enge Verwandte kann man sich nicht aussuchen. Die originären Lebensumstände schenken oder erzwingen quasi ein Miteinander. In diesem Geflecht ist gegenseitig gespendete Liebe ein Geschenk des Himmels - vor allem für Kinder, die in ihrer frühen Entwicklung durch familiäre Geborgenheit ihr Selbstvertrauen entwickeln und ihre Persönlichkeit optimal entfalten können. Treten jedoch Störungen oder Verletzungen auf, werden diese als besonders schmerzhaft empfunden und wirken lange nach.
Jeder Beteiligte steht immer wieder vor der Frage, welche Facetten seiner Persönlichkeit er dem Gegenüber zeigen möchte. Die eine oder andere „Ecke“ mag dem anderen verborgen bleiben, ohne die Qualität der verbundenen Wanderung durch das Leben zu beeinträchtigen. Nicht jeder Adressat ist für manche Selbstoffenbarung empfangsbereit. Diese Bereiche können daher einfach ausgeklammert werden. Man wird somit für den anderen zum „Wegbegleiter“, der in der Hierarchie zwischen „Kamerad“ und „Freund“ angesiedelt ist.
Als unabdingbare Voraussetzung für eine echte, tiefe, ideelle Freundschaft muss das übereinstimmende Teilen von moralischen Werten und Grundüberzeugungen erfüllt sein. Das tragende Thema ist dann – neben allen sonstigen Übereinstimmungen - ein seelisch-geistiger Gleichklang, eine spirituelle Harmonie, aus der sich wahre Liebe entwickelt. Auf dieser Basis kann ein segensreicher Wachstums- und Reifeprozess gründen. Die diesbezüglich allerhöchsten Anforderungen bestehen in der Beziehungspartnerschaft und in der Ehe. Ohne eine weitgehende Kongruenz des Wertekanons ist hier ein Scheitern auf lange Sicht unvermeidbar.
Zu Beginn eines gemeinsamen Weges mag man manchmal einen Vorschuss an Offenheit, Vertrauen und Hingabe gewähren. Erfüllt sich die damit einhergehende Hoffnung auf tiefe Verbundenheit, gewinnt man einen ideellen Schatz.
Die rechte Handhabung der angebotenen und bestehenden Beziehungen ist ein bedeutendes Lernziel für ein ganzes Leben. Die Kunst besteht dabei darin, sich selbst und dem anderen gerecht zu werden, Freude, Erleben und Glück zu mehren, Enttäuschungen, Schmerz und Trauer hingegen einzugrenzen. Wir Menschen sehnen uns nach lebenslanger harmonischer Zweisamkeit. In manchen Situationen aber ist ein Abschiednehmen der bessere Weg zur freien Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit.