Als ich den Aufruf von @miauknowhow mit dem damit verbundenen Hashtag #meinefirstworldproblems entdeckt hatte, musste ich erst einmal überlegen, in welchen Situationen es auf mich zutrifft, dass ich mich über Dinge aufrege und ärgere, die es eigentlich gar nicht wert sind. Weil sie zum Beispiel belanglos und unwichtig sind. Natürlich habe auch ich First World Problems, bei denen Menschen aus der Dritten Welt froh wären, wenn das ihre einzigen Sorgen wären. Gar keine Frage.
Aber in den letzten Monaten haben mich Probleme geplagt, die nicht nur im wohlhabenden Deutschland vorkommen, sondern auch in den ärmsten Ländern dieser Welt. Ich habe nämlich aus heiterem Himmel meinen Job verloren, wurde von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt und musste zusehen, wie ich klarkomme. Das sehr Gute an Deutschland ist, dass Menschen in meiner Situation erst einmal weich fallen – zumindest was die finanzielle und gesundheitliche Versorgung anbelangt. Ich konnte weiterhin meine Miete zahlen, mir Essen kaufen und auch zum Arzt gehen (was tatsächlich zwei Mal nötig war). Ich bekam sogar ein Coaching bezahlt, mithilfe dessen ich zurück in die Arbeitswelt finden sollte. Im Großen und Ganzen hätte es mich definitiv schlimmer treffen können. Mir ist auch klar, dass es täglich Menschen schlimmer trifft, die nicht in einem Land mit Sicherheitsnetzt aus der Sozialversicherungskasse leben. Um die sich niemand kümmert, wenn sie grundlos auf die Straße gesetzt wurden. Diese Sorge musste ich zum Glück nicht aushalten.
Nichtsdestotrotz ist arbeitslos werden auch in Deutschland eine Bürde. Denn aus dem Raster zu fallen und für eine Gesellschaft wertlos zu werden, die nur die Fleißigen und Vermögenden anerkennt und Sozialschmarotzer verachtet, ist eine verdammt harte Erfahrung. Wobei mir gegenüber nie jemand so reagiert hat. Es ist viel mehr in unseren Köpfen drin, dass wir uns so fühlen müssen, wenn wir arbeitslos und aussortiert werden. Es nützte nämlich in dem Moment, in dem ich am Schalter der Agentur für Arbeit stand und als eine weitere Nummer im System erfasst wurde, nichts, dass ich meine fristlose Kündigung nicht selbst verschuldet hatte. Es nützte nichts, zu wissen, dass ich erst einmal mehr Freizeit und die Möglichkeit für eine emotionale Verschnaufpause haben würde. Mir nützte der Gedanke nichts, dass ich fürs Nichtstun trotzdem etwas weniger als Tausend Euro bekam, mit denen ich die nächsten Monate überbrücken konnte.
Das Leben, wie ich es kannte, ging nicht so weiter, wie ich es kannte – das war alles, woran ich denken konnte. Jemand anderes hat entschieden, dass mein Arbeitsplatz und meine Arbeitskraft überflüssig waren und mich deshalb meiner Lebensgrundlage beraubt. Diese Gedanken kreisten wie hungrige Geier über meinem am Boden liegenden Selbstwertgefühl. Bestimmte Annehmlichkeiten wie ins Restaurant gehen, wenn ich darauf Lust hatte, vielen weg. Ich konnte mir nicht mehr jeden Monat eine Online-Shopping-Tour bei Zalando gönnen. Kurze Ausflüge in andere Städte, um Freunde und Bekannte zu treffen, waren auf einmal nicht mehr möglich. An Geld zur Seite legen ist im Großraum Stuttgart mit weniger als Tausend Euro im Monat auch nicht zu denken. Ab jetzt musste ich wieder jeden Cent einzeln umdrehen, wie damals während dem Studium. Nur dass ich nicht mehr freiwillig unter erschwerten Bedingungen und an der Armutsgrenze kratzend auf ein Ziel hinarbeitete. Denn dieses Mal wurde ich von der Tatsache, dass ich mir überhaupt erst einmal ein neues Ziel suchen musste, total überrascht.
Interessanterweise fehlte es mir in den drei Monaten, in denen ich wieder auf Jobsuche war, überhaupt nicht, dass ich mir nichts mehr leisten konnte. Ich hatte nicht mehr das Bedürfnis pausenlos zu konsumieren, mein hart verdientes Geld für Essen, Klamotten und Kurztrips auszugeben. Der Blickwinkel auf mein Leben und das, was so plötzlich wichtig geworden war, hatte sich schlagartig verschoben. Klar, frustrierten mich die geringen Bezüge, die mir der Staat zahlte und die ich meinem Studium und den daran anschließenden schlecht bezahlten Jobs zu verdanken hatte, eine kurze Zeit. Aber ich kam zu dem Schluss, dass es nun mal so ist, wie es ist. Ein Grund mehr, um daran zu arbeiten, dass es eines Tages wieder anders laufen würde.
Und nachdem der erste Arbeitslosigkeits-Blues überwunden war, war ich auf einmal so fokussiert wie noch nie in meinem Leben. Nicht auf diese krankhafte, verbissene und ungesunde Weise. Sondern auf eine durchatmende und klare Weise, durch die ich mir erlaubte, die eine Frage zu stellen, die ich mir zuvor nie so gestellt hatte, weil ich dazu bisher immer viel zu beschäftigt war oder nicht den Mut hatte: Was will ich eigentlich vom Leben? Ich bin 33, wie sollte es für mich weitergehen? Jetzt hatte ich die einmalige Möglichkeit etwas ändern. Also was sollte das sein? Was macht mich WIRKLICH glücklich?
Mittlerweile habe ich meine Antworten auf diese Fragen gefunden. Und auch wenn ich nicht darauf scharf bin, jemals wieder in diese Situation zu kommen, hatte die Arbeitslosigkeit neben den Ängsten und der Frustration doch auch viel Gutes. Und sie hatte unter anderem wahrscheinlich deshalb etwas Gutes, weil ich mich zum ersten Mal nicht mit First World Problems herumgeschlagen habe. Durch das wenige Geld, durch die neuen und existenziellen Fragen, durch die ich die Weichen für mein zukünftiges Leben stellen musste, gab es zum ersten Mal keinen Platz mehr Unwichtiges und Belangloses. Ich als Mensch war wichtig. Meine dringendsten Bedürfnisse nach einer Lebensweise, die erfüllender für mich sein sollen, waren wichtig. Die Menschen um mich herum, die mich dabei unterstützten und mich stützten waren wichtig. Und sonst nichts! Die Arbeitslosigkeit war so gesehen eine unfreiwillige Kur, die mir bei einer inneren gedanklichen und emotionalen Reinigung half, den emotionalen Müll und Ballast zu beseitigen und die mich zwang, mich und die Bedürfnisse, die wirklich etwas zählen, an oberste Stelle zu setzen.
Nun ist arbeitslos sein oder werden, nichts, was ich anderen empfehlen kann. Aber Verzicht ist eine Empfehlung. Ein Ausstieg aus dem Hamsterrad, in das ich mich über Monate und Jahre hinweg eingezwängt gefühlt habe, kann eine Empfehlung sein. Durchatmen, den Reset-Knopf drücken, stehen bleiben, sich eine Auszeit gönnen und sich selbst spüren ist meine Empfehlung. Denn wir verlieren uns nur allzu leicht im Konsum, bis wir denken, dass der Konsum das ist, was wir wollen und brauchen. Das kann man uns nicht einmal unbedingt zum Vorwurf machen, denn so wird es uns tagtäglich medial vermittelt eingetrichtert. Aber darauf nicht mehr hereinzufallen und zeitweise auf Medien zu verzichten, kann uns unseren tiefsten Bedürfnissen wieder näherbringen. Und dann werden wir feststellen, wie wenig es eigentlich bedarf, damit wir uns wohl und zufrieden fühlen.
Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch das ein oder andere First World Problem, das mich an mir selbst nervt und über das ich in einem weiteren Beitrag gerne einmal schreiben kann. Ich wollte mit diesem Text eine andere Sichtweise auf dieses Thema aufzeigen, wodurch aber nicht die eigentliche Botschaft des Hashtags verloren gehen soll. Und zum Abschluss wieder die Frage an euch: Wie seht ihr das Ganze eigentlich?