13. April 2019
Vor einigen Tagen ist bei einem ungarischen Fernsehsender ein Gespräch mit dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Bundesverfassungsschutzes (Inlandnachrichtendienst), Hans-Georg Maaßen [1], erschienen [2]. Über dieses Gespräch wurde in deutschen Medien ziemlich plakativ berichtet, sowohl kompakt mit Bezug auf eine Agenturmeldung [3], als auch in redaktionellen Berichten [4].
Auf der wertkonservativ-wirtschaftsliberalen Plattform Tichys Einblick erschien ein längeres Zitat ohne ausführlichen Kommentar [5]. Was bislang fehlte war ein vollständiges Transkript, das ich an dieser Stelle gerne anbiete. Den Namen der Journalistin, die das Gespräch geführt hat, habe ich leider nicht herausgefunden, so dass jeweils lediglich Frage steht.
Teilweise wurde gemunkelt, dass der Inhalt des Gespräches brisant sei oder dass mit Spitzenfunktionären aus der Deutschen Regierung abgerechnet würde. Gemäss meinem Eindruck stimmt das nicht. Es ist nichts Brisantes enthalten, sondern nur offen zugängliches Wissen, welches man für sicherheitspolitisch interessierte Menschen durchaus voraussetzen kann, jedenfalls aus meiner Sicht. Dennoch ist es interessant, das aus dem Mund eines ehemaligen Spitzenfunktionärs zu hören. Der einzige Regierungsfunktionär, der namentlich erwähnt wird, ist der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière [6].
Im Umkehrschluss halte ich Journalisten, die in den Bereichen Innenpolitik und Sicherheitspolitik berichten, für unkundig, wenn ihnen die von Herrn Maaßen getätigten Äusserungen neu erscheinen oder sie in irgendeiner Weise überraschen. Denn, mir erschienen sie nahezu selbsterklärend und ich bin auf allen betreffenden Gebieten ein Laie.
Hans-Georg Maaßen wurde in einigen von meinen Beiträgen erwähnt, es sind wenigstens deren vier, auf die ich an dieser Stelle gerne verweise [7-10].
https://www.youtube.com/watch?v=kvUak6QFocQ
(0:01) - Frage Herr Maaßen. Als Anfang September 2015 die Grenzen für Hunderttausende von Menschen geöffnet wurden, haben Sie Schüttelfrost bekommen, wie Sie in einem Interview gesagt haben. Was haben Sie damals gedacht?
(0:14) - Hans-Georg Maaßen Ich bin verantwortlich gewesen in dem Land für die Abwehr von Terrorismus, Extremismus. Und ich habe gesehen, dass wir schon so grosse Schwierigkeiten hatten islamistischen Terrorismus abzuwehren. Ich habe mir vorgestellt, dass noch schwerer werden könnte. Ich habe auch an die Integrationsprobleme gedacht. Ich habe viele Jahre Verantwortung getragen, für Zuwanderungspolitik und Ausländerrecht im Bundesinnenministerium. Ich habe seinerzeit die Regelung über Integration selbst erfunden. Mir war schon klar gewesen, dass eine derart grosse Zahl von Menschen so ohne weiteres in Deutschland nicht integriert werden kann.
(0:52 ) - Frage Sie sagen es sei aber kein Problem von 2015. Es werden permanent die gleichen Fehler gemacht wie 2015. Wie meinen Sie das?
(1:02) - Hans-Georg Maaßen 2015 sind an einem Tag nach Deutschland 10'000 Menschen gekommen oder auch mehr. Das ist derzeit nicht der Fall. Die Zahl der nach Deutschland kommenden Asylsuchenden oder Personen, die illegal einreisen ist wesentlich kleiner, 700, 900 Personen (pro Tag - Anm.). Aber die Schleuse ist immer noch offen, auch wenn weniger hineinkommen. Aber ich sehe, dass in hohem Umfang ein Einwanderungsdruck besteht. Von anderen Kontinenten, vom Mittleren Osten, von Afrika nach Europa, nach Deutschland. Aus meiner Sicht sind die notwendigen Vorkehrungen nicht getroffen, damit dieser Einwanderungsdruck minimiert wird, dass diese Menschen nicht zu uns kommen. Ich sehe mit grosser Sorge dass vielleicht im Sommer oder im Herbst oder auch erst im nächsten Jahr dieser gesamte Einwanderungsdruck, der sich staut, sich so ausdrückt, dass noch wesentlich mehr Menschen nach Europa und nach Deutschland kommen und ich sehe eben nicht, dass vorsorge getroffen worden ist. Ich sehe es nicht, dass Vorsorge getroffen wurde 2015, in der Zwischenzeit auch nicht. Auch wenn ein Abkommen mit der Türkei abgeschlossen worden ist, auch wenn andere Abkommen anverhandelt, ausverhandelt worden sind, sehe ich nicht, dass wir die notwendigen Vorkehrungen getroffen haben, um Europa und auch Deutschland davor zu schützen, dass so viele Menschen zu uns kommen.
(2:20) - Frage Was wären die notwendigen Massnahmen?
(2:24) - Hans-Georg Maaßen Grundsätzlich muss man sagen, müssen die Grenzschutz-Massnahmen so sein, dass die Aussengrenzen Europas funktionieren. Das bedeutet, dass nur die Menschen zu uns nach Europa und Deutschland kommen können, die ein Recht haben auf Asyl und die ein Bleiberecht auch bekommen sollen. Nicht Armutsflüchtlinge, ohne den Begriff Armutsflüchtling hier als etwas Negatives zu verwenden. Aber, wir können nicht alle Menschen auf der Welt aufnehmen. Da müssen im Grunde genommen die Aussengrenzen funktionieren. Ich sehe nicht, dass diese Aussengrenzen funktionieren, Ich sehe nicht, dass die EU und dass Frontex oder auch dass die nationalen Grenzbehörden die notwendigen Massnahmen bisher ergriffen haben, um Europa, um die italienischen, griechischen Inseln und auch damit mittelbar Deutschland zu schützen.
(3:13) - Frage Sie haben damals darauf hingewiesen - 2015 schon - dass mit den Flüchtlingen Terroristen nach Deutschland kommen können, als die offizielle Devise lautete, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Migration und Terrorismus. Worauf beruhte Ihre damalige Einschätzung?
(3:33) - Hans-Georg Maaßen Also ich bin damals davon ausgegangen, dass unter den vielen, vielen Tausenden von jungen Menschen - überwiegend jungen Männern - die aus den arabischen Staaten zu uns kamen, aus Syrien, dem Irak oder auch aus Afghanistan, natürlich auch Personen darunter sind, die für den IS gekämpft haben oder für andere dschihadistische Terrorgruppierungen. Ich habe damals nicht gesagt, dass ich sicher bin, dass Personen in terroristischem Auftrag zu uns kommen. Mittlerweile wissen wir, dass auch solche Personen darunter waren. Aber es ist für uns schon ein grosser Punkt der Sorge, wenn eben viele Tausend Menschen zu uns kommen, darunter auch viele sind, die Erfahrung haben im Töten, Erfahrung haben im Terror und die eine dschihadistische Ideologie im Herzen tragen. Das ist für mich ein grosser Punkt der Sorge gewesen. Vor diesem Hintergrund habe ich auch jede Gelegenheit genutzt das auszusprechen.
(4:26) - Frage Hätten islamistische Anschläge verhindert werden können, wenn die Regierung die Warnungen ernst genommen hätte?
(4:34) - Hans-Georg Maaßen Ich möchte nicht spekulieren. Die Situation damals ist so gelaufen wie sie gelaufen ist. Ich weiss nicht, ob es anders gelaufen wäre. Wir haben jedenfalls in Deutschland eine ganze Reihe von Terroranschlägen verhindert. Meine Behörde, die ich damals geleitet habe, der Bundesverfassungsschutz, und die Polizeibehörden haben, denke ich, sehr gute Arbeit geleistet. Es hätte auch anders laufen können über dieses Anders-laufen-können wird leider zu wenig nachgedacht, weil man froh ist, dass es keine Dutzende oder Hunderte von Terroropfern gab. Ich bin froh, dass es jedenfalls während meiner Zeit, als ich die Behörde geleitet hatte, mit Ausnahme des Anschlags auf dem Breitscheidplatz in Berlin, keine grossen Terroranschläge gab.
(5:18) - Frage Wie viele Drohungen standen im Raum? Waren da überhaupt Drohungen in dem Sinne?
(5:26) - Hans-Georg Maaßen Es gab sehr viele Drohungen. Wir hatten teilweise 2 bis 3 Meldungen pro Tag gehabt über mögliche Terroranschläge oder Verdachtshintergründe, die wir bearbeiten mussten. Das war eine sehr, sehr grosse Verantwortung der Mitarbeiter, zu erkennen, ob es hier ein fehlerhafter Hinweis war, ob IS vielleicht eine Falschmeldung verbreitet hatte, um uns irrezuleiten oder ob es etwas Echtes war. Und wenn es ein echter, wirklicher Hinweis war, war es eine sehr grosse Verantwortung, den aufzuklären. Es war eine sehr grosse Verantwortung, die meine Mitarbeiter seinerzeit trugen.
(6:02) - Frage Warum wurden die Informationen der Sicherheitsdienste von der Politik nicht ernstgenommen?
(6:08) - Hans-Georg Maaßen Das ist eine Frage, die Sie eigentlich an die Politik richten müssen. Aber ich kann aus meiner Perspektive sagen, dass natürlich Politiker nicht nur die Brille des Chefs eines Nachrichtendienstes aufgesetzt haben. Sondern sie haben verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen. Sie haben ökonomische Fragen zu berücksichtigen, aussenpolitische Fragen und müssen dann unter dem Strich für sich entscheiden, welche Gesichtspunkte für sie wichtiger sind. Innere Sicherheit, Aussenpolitik, vielleicht auch Parteipolitik, was auch immer. Die Politik hat in Deutschland so entschieden wie sie entschieden hat. Ich als Chef eines Nachrichtendienstes hätte mir aus meiner Perspektive natürlich eine andere Entscheidung gewünscht.
(6:49) - Frage Thomas de Maizière [6] schreibt in seinem neuen Buch, dass die Zurückweisung der Flüchtlinge damals 2015 möglich gewesen wäre. Aber dann wären hässliche Bilder entstanden. Lieber Sicherheitsrisiko als hässliche Bilder? Ist es so zu verstehen?
(7:07) - Hans-Georg Maaßen Diese Formulierung im Buch habe ich auch gelesen. Sie hat mich enttäuscht. Ich habe ein wirklich gutes Verhältnis zu Minister de Maizière und schätze ihn menschlich, aber auch seine fachlichen Qualitäten. Es gibt kaum jemanden, glaube ich, der in der deutschen Innenpolitik so viele Fussspuren hinterlassen hat wie Herr de Maizière. Auf der anderen Seite hat mich dieser Ausdruck deshalb enttäuscht, weil ich der Auffassung bin als langjähriger Beamter im Ministerium, im Nachrichtendienst und als Jurist, dass in allererster Linie Recht und Gesetz durchgesetzt werden müssen. Im Interesse und zum Wohle des Volkes. Auch wenn es schlechte Bilder gibt und vielleicht gerade wenn es schlechte Bilder gibt. Der Rechtsstaat zeigt sich auch dann oder ganz besonders dann, wenn Politiker ihn durchsetzen, wenn es schlechte Bilder gibt.
(8:03) - Frage 2012 hat es in Deutschland 3'800 Salafisten gegeben, heute gibt es 11'500. Wie viele von ihnen sind Anschläge zuzutrauen?
(8:14) - Hans-Georg Maaßen Unter diesen 11'500 Salafisten gibt es viele Personen, die man zum islamistisch-terroristischen Personenpotenzial zählt. Das sind Personen, denen man Terroranschläge zutraut. Das sind derzeit schätzungsweise über 2'000 Personen, davon gelten rund 700 Personen als terroristische Gefährder, islamistisch-terroristische Gefährder. Diese Personen werden mit unterschiedlichen Massnahmen bewacht, kontrolliert und observiert. Aber Sie können sich vorstellen, dass bei dieser sehr grossen Zahl von über 2'000 Personen islamistisch-terroristischen Personenpotenzials es auch für einen guten Nachrichtendienst und eine gut aufgestellte Polizei nicht einfach ist, alle Personen im Blick zu haben und vor allem diesen Personen auch noch hinter die Stirn zu schauen und zu sehen, was in deren Köpfen vorgeht und was sie planen.
(9:07) - Frage Wie viele von diesen kamen über den Asylweg nach Deutschland? Eventuell ohne Papiere oder mit frei erfundenen Namen?
(0:14) - Hans-Georg Maaßen Ich kann es nicht sagen, wie viele von den 11'500 Personen in den letzten Jahren als Asylsuchende zu uns kamen. Aber Sie müssen sich vorstellen, dass das Problem des islamistischen Terrorismus ohne Zuwanderung nach Deutschland auch nicht vorstellbar ist. Weil der überwiegende Teil der Personen, die wir zum islamistisch-terroristischen Personenpotenzial zählen, Personen mit Migrationshintergrund sind. Wir sprechen von den 4 Ms auf deutsch, die im Grunde genommen die Grundlage dafür bilden, wieso eine Person dazu zählt. Das sind junge Männer mit Migrationshintergrund, muslimische und Misserfolge in der Schule, im Beruf oder im Privatleben. Das heisst also Migration und islamistischer Terrorismus stehen in einer Verbindung und darüber muss man auch reden. Das muss man sehen, es als ein Problem begreifen und es lösen.
(10:09) - Frage Die Polizei, wie Sie auch gesagt haben, hat durch Razzien mehrere Terroranschläge im vorigen Jahr verhindert. Genau sechs in den letzten zwei Jahren, wie ich gelesen habe. Ist die Polizei wachsamer geworden?
(10:22) - Hans-Georg Maaßen Ich glaube, dass wir insgesamt noch (viel - Anm.) mehr Terroranschläge verhindert haben oder Terrorplanung im Vorfeld durchkreuzt. Ich glaube, dass es ein sehr, sehr grosser Erfolg war, als wir im letzten Jahr (2018) im Juni eine Planung, nämlich eines Gift- oder Bio-Kampfstoff-Anschlags in Köln verhindert hatten, wo jemand eine Rizin-Bombe zünden wollte [6]. Die Polizei und auch die Nachrichtendienste sind in Deutschland gut aufgestellt. Ich will nicht sagen, dass sie hervorragend aufgestellt sind. Dabei haben sie in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen vorgenommen, sowohl personell als auch was die Leistungsfähigkeit angeht. Nur, die Herausforderungen, denen sich die Sicherheitsbehörden gegenüber sehen, die schieren Herausforderungen anhand der Zahlen und auch anhand der Technik, die unser Gegenüber hat, sind letztendlich schon beeindruckend und führen dazu dass Polizei und Nachrichtendienste mitunter auch an den Grenzen anlangen
(11:23) - Frage Mehr als 200'000 Flüchtlinge sind ausreisepflichtig. Warum funktionieren die Abschiebungen nicht?
(11:28) - Hans-Georg Maaßen Das hat eine ganze Reihe von Gründen. Angefangen damit, dass die Herkunftsstaaten oftmals nicht bereit sind diese Leute zurückzunehmen. Sie sind nicht bereit teilweise aus ökonomischen Gründen. Ein Asylsuchender in Deutschland, der Geld in die Heimat überweist, ist aus zwei Gründen gut. Zum einen gibt es Devisen und zum anderen ist eine Person, die möglicherweise arbeitslos ist, den heimischen Arbeitsmarkt belastet oder straffällig wird, letztlich ein Schaden für das Heimatland. Deswegen sind sie selten bereit, diese Leute ohne weiteres aufzunehmen. Zum anderen haben wir sehr, sehr komplizierte Abschiebungsschutzbestimmungen. Jemand, der in Deutschland deutsche Kinder hat, also mit einer deutschen Frau verheiratet ist (oder umgekehrt, wäre auch möglich - Anm.), dem im Herkunftsland möglicherweise unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht, möglicherweise die Todesstrafe drohen könnte, ist vor Abschiebung geschützt. Das frustriert in hohem Umfang dann die Behörden, die für die Abschiebung zuständig sind. Hinzu kommt aber auch, dass es sogenannte NGOs (Non-Governmental Organisations, Nicht-Regierungsorganisationen, der Begriff ist aus meiner Sicht ein Widerspruch, wenn NGOs öffentliche Gelder annehmen - Anm.) gibt die bewusste Abschiebungen verhindern, indem sie die Abzuschiebenden unterstützen, sie verstecken und dergleichen. Insgesamt muss man sagen, dass die Abschiebungspolitik in Deutschland leider ein Desaster ist. Aber leider nicht nur in Deutschland, auch in anderen westeuropäischen Staaten.
(12:53) - Frage Gibt es eine Anti-Abschiebe-Industrie (deutsches Un-Wort des Jahres 2018 [11] - Anm.), wie es Herr Dobrindt gesagt hat?
(12:58) - Hans-Georg Maaßen Es gibt sehr viele Menschen, die an der Verhinderung der Abschiebungen und an den Asylsuchenden verdienen. Das muss man offen aussprechen. Jeder Asylsuchende kostet den Staat viel Geld. Aber das Geld geht auch in die Taschen von bestimmten Personen, die mit diesen Leuten Geld verdienen.
(13:14) - Frage Durch den Familiennachzug werden in den nächsten Jahren noch viele Flüchtlinge dazukommen. Man braucht für die Integration (jährlich - Anm.) zusätzlich die Infrastruktur einer deutschen Stadt in der Grösse von Kassel. Ist die Integration in solcher Anzahl eigentlich möglich?
(13:34) - Hans-Georg Maaßen Die Integration ist möglich, wenn man die rechtlichen Rahmenbedingungen schafft und auch die Leute dazu bringt, sich integrieren zu lassen oder sich zu integrieren. Integration kann man nicht nur anordnen, sondern man muss Integration auch fordern. Das ist die Erwartungshaltung, die man an jeden Ausländer haben muss, der zu uns kommt. Meine Sorge ist, dass es eine andere Integration gibt, eine Integration nicht in die deutsche Gesellschaft, sondern eine Integration in die arabische Gesellschaft, in die salafistische Gesellschaft, in die türkische Gesellschaft in Deutschland, so dass wir also Parallelgesellschaften haben. Das muss aus meiner Sicht mit aller Kraft verhindert werden.
(14:18) - Frage Wie hat sich das gesellschaftliche Klima in Deutschland verändert?
(14:22) - Hans-Georg Maaßen Es hat sich in den letzten Jahren aus meiner Sicht eher zum schlechteren verändert und das habe ich auch als Präsident des Bundesverfassungsschutzes mit Sorge getragen und gesehen. Vor dem Hintergrund, dass wir wahrgenommen haben, dass viele Menschen in Deutschland, die eigentlich zur bürgerlichen Mitte zählten oder zählen, die CDU oder SPD gewählt haben, sich von den Parteien abgewendet haben und dann eine neue Partei AfD Alternative für Deutschland, eine rechte Partei, unterstützten oder wählten. Das ist eine Abkehr im Grunde genommen von den bisherigen Parteien und eine Hinwendung zu einer ganz neuen Kraft. Etwas, was wir in anderen westeuropäischen Ländern auch schon gesehen haben. Angefangen in den Niederlanden, Italien oder Frankreich. Aber das führt auch zum Aufbrechen des bisherigen Parteiensystems, zu einer Erosion kann man sagen. Zu einer Erosion des Vertrauens in das Funktionieren des bisherigen Parteiensystems und zu einer Abkehr von Menschen von dieser Demokratie. Das hat mich mit Sorge erfüllt und tut es heute noch, dass diese Entwicklung nicht gestoppt ist, sondern noch weiter geht.
(15:31) - Frage Viele haben inzwischen Angst ihre Meinung frei zu äussern, um nicht in die rechte Ecke gestellt zu werden. Haben sie es auch?
(0:14) - Hans-Georg Maaßen Nein, ich habe nicht die Sorge in die rechte Ecke gestellt zu werden. Aber ich sehe natürlich auch mit Sorge, dass viele Menschen zum Beispiel mir gegenüber sagen: "Herr Maaßen, das was Sie tun und sagen finde ich wunderbar und ich unterstütze Sie." So, dass ich, wenn ich in ein Restaurant gehe, von wildfremden Menschen angesprochen werde und beglückwünscht werde zu meiner Haltung. Aber dass diese Leute (sonst) sich nicht trauen, das (öffentlich) auszusprechen. Das finde ich schade und ich muss an meine Familienbiographie denken. Ich hatte vor einiger Zeit noch einmal eine Tonbandaufnahme gehört, die ich 1980 von meinem Onkel gemacht hatte über die Zeit von 1933 bis 1945. Mein Grossvater war von Nazis misshandelt worden, mein Onkel war verfolgt worden. Und all das, was er damals geschildert hatte, führte jetzt zu der Erinnerung, dass Totalitarismus und Meinungsdiktatur auch heute möglich sein können. Ich sage nicht, dass es in Deutschland der Fall ist, aber das muss verhindert werden. Deswegen muss man den Mut auch haben Sachen auszusprechen, die vielleicht von anderen nicht gemocht werden.
(16:41) - Frage Verhindert die politische Korrektheit das oder warum haben die Leute Angst ihre Meinung frei zu äussern?
(16:50) - Hans-Georg Maaßen Es liegt vielleicht auch an den Führungspersonen. Ich selbst habe mir gesagt: "Wenn ich nicht meine Meinung frei äussere, wie kann ich es von meinen Mitarbeitern erwarten?" Und ich habe auch die Erwartung an Führungspersonen in Wirtschaft und Verwaltung, überhaupt im Staat, dass die so viel Rückgrat haben, ihre Position zu äussern.
(17:11) - Frage Wie gefährlich sehen Sie die Moscheengemeinden?
(17:15) - Hans-Georg Maaßen Es gibt unter den vielen Moscheegemeinden in Deutschland viele Hinterhof-Moscheen, wie man so sagt. Das sind Moscheen von selbsternannten Imamen, die sich regelmässig dem Salafismus oder dem radikalen Islam zuwenden und den predigen. In Deutschland gibt es keine staatliche Kontrolle von Religionsgesellschaften und das führt letztendlich dazu, dass wir ich sage einmal einen Wildwuchs auch in radikalen, muslimischen Moscheegemeinden haben. In diesen Moscheegemeinden werden junge Leute durchaus radikalisiert
(17:54) - Frage Und auch rekrutiert, manchmal?
(17:56) - Hans-Georg Maaßen Und auch manchmal rek