Nach exakt 15 Monaten Nomadentum, 13 Monaten und genau 25.000km Motorrad Weltreise haben wir uns die Zeit genommen, bei unseren beiden DRs eine gründliche Durchsicht zu machen. Bis dahin haben wir immer nur ausgetauscht, wenn etwas getauscht werden musste (Reifen, Öl, Lager,…) und sind weiter gefahren. Andere gehen zum Service in die Werkstatt, wir kümmern uns selbst. Im „Traveler’s Land Homestay“ in Bojnurd hatten wir ideale Bedingungen dafür: ein überdachter Schrauberplatz und einen motorradfahrenden Gastgeber: Mohsen.
Mohsen hat zufällig vor 3,5 Jahren auf der Straße Schweizer Radreisende getroffen und zum Tee in seine Hydraulik-Werkstatt eingeladen. Die beiden haben diese nette Erfahrung online geteilt – und schon bald kamen mehr Reisende zum Tee in Mohsens Werkstatt. Daraus entstand bald unter Mohsens Admintätigkeit die Facebookgruppe „Overland in Iran“, in der sich Reisende austauschen und Mohsens Idee, den Iranreisenden mehr als nur ein Glas Tee zu bieten. Ein Homestay musste her, aber Mohsen fehlte das Geld.
[caption id="attachment_1114952" align="aligncenter" width="1024"] Bei der Geldübergabe in Isfahan, November 2018[/caption]
Ein polnischer Motorradreisender sammelte Ende 2018 über eine Crowdfunding-Aktion 1200€ Startkapital für Mohsens Projekt, doch wegen des Embargos konnte er das viele Geld nicht in den Iran überweisen. Ich war zu der Zeit in der Mongolei und bot an, das viele Geld in bar und Euro auf dem Flughafen Istanbul aus sämtlichen verfügbaren Automaten zu ziehen. Einige Euro Automatengebühr ärmer (unser Anteil für das Projekt) kam ich Mitte November in Isfahan an und wir übergaben den Haufen Bargeld an einen Mittelsmann, durch den die Euros dann in Landeswährung bei Mohsen, 1200km weiter nördlich, ankamen.
Zusätzlich schickten wir noch Jans überflüssigen 17“ Hinterreifen zu Mohsen, den er tatsächlich binnen zwei Tagen für 30€ verkaufen konnte. Mit dem „großen“ Geld kaufte Mohsen dann Gästebetten, Sitzmöbel und genug Geschirr und eröffnete vor ein paar Monaten sein „Traveler’s Land“ Homestay. Man kann bei ihm im Gästezimmer, auf dem Wohnzimmerteppich oder im eigenen Fahrzeug im Hof schlafen, bekommt ein liebevoll zubereitetes Frühstück und einen Platz zum Schrauben. Was man selbst (oder er) nicht an Werkzeug und Ersatzteilen hat, wird besorgt. Mohsens Netzwerk in der Stadt ist riesig, sodass es kein Problem gibt, was er nicht lösen kann: Liqui Moli Öl? Radlager? Schweißer? Motorradreifen? Alles easy!
Auch Frank hat die Gelegenheit genutzt, seiner KTM den Elektronikwurm auszutreiben. Nachdem nun die Steckverbindungen zum Anlasserrelais ausgetauscht sind, läuft sie wieder, als wäre nie etwas gewesen.
Jan und ich haben unsere zwei DRs ganz genau unter die Lupe genommen und ein paar Dinge gerichtet, die schon länger fällig waren, zum Beispiel mein defekter Xenon Scheinwerfer oder ganz normale Verschleißteile wie Bremsbeläge und Spritfilter. Es hat richtig Spaß gemacht, nach so langer Zeit wieder gemütlich nebeneinander an unseren Motorrädern zu puzzeln!
Für die Statistiker unter Euch hier die kilometergenaue Aufstellung für Jans DR650 RSE, Baujahr 1996;
Und die Liste für Silkes DR350 S, Baujahr 1993:
Man sieht, wir haben etwas unterschiedliche Auffassungen von "Vorsichtsmaßnahmen". Jan hat nur den Standart Spritfilter im Benzinhahn, ich habe zusätzlich zwei externe Filter und diese sogar nach einem Jahr getauscht. Auch Spritleistungen finde ich austauschwürdig, wenn sie Alterungserscheinungen zeigen, Jan macht erst neu, wenn neu muss. :-) Grundsätzlich sind beide DRs aber super robust und zuverlässig.
Weil im Iran Motorradreifen super gut und sehr billig sind (18€ der komplette Satz), haben wir uns neue Reifen gegönnt. Unsere Reifen waren zwar noch gut, aber wenn man sie für 18€ neu bekommen kann… etwas Luxus muss sein! Jans Mefo Explorer Vorderreifen reist jetzt als „neuwertiger Ersatzreifen“ mit Frank Richtung Pakistan, meine angefahrenen Reifen kann Mohsen wieder in seine Taschen weiter verkaufen.
Während wir bei Mohsen zu Gast waren, war dort auch ein Japaner mit seiner Africa Twin (dem Jan schnell einen neuen 7€ Vorderreifen verpasst hat), ein Paar aus Australien mit ihrem LKW und ein Paar aus Holland mit einem Toyota Hilux und wunderschöner Wohnkabine. Weil Mohsen für und mit uns einen Tag nach dem anderen durch die Stadt gedüst ist, um Dinge für uns zu erledigen, waren Jan und ich zwei Tage vor Abreise noch auf unsere Rechnung groß shoppen, um sein Homestay besser auszustatten: es fehlten Mülleimer, Aufbewahrungsdosen, Schubladeneinsätze, Haken, Eimer, Wischmopp und mehr. Wir wurden zu richtigen Freunden, gingen jeden Abend zusammen Kebab oder Burger und viel Eis essen (natürlich luden wir ihn ein!) und halfen als „Anstandswauwaus“ hoffentlich mit, dass in Zukunft Mohsen nicht mehr alleine seine Gäste umsorgt. Beziehungskisten sind in einer iranischen Kleinstadt noch schwieriger als im Rest des Landes…
Falls Ihr, egal wie Ihr reist, also in den Iran kommt, besucht Mohsen – mindestens auf ein Glas Tee in seiner Werkstatt. Und tut bitte, worum uns Mohsen bat und wovon nicht nur seine Existenz abhängt: wenn Euch ein Ort, eine Unterkunft oder Ähnliches gefallen hat, so teilt das bitte in den für Reisende gängigen Apps wie iOverlander und maps.me. Falls dort schon ein Eintrag ist, nehmt Euch die 2 Minuten Zeit, um dort eine nette Bewertung zu hinterlassen und ein Foto einzustellen. Existenzen wie die von Mohsen hängen von solchen Kleinigkeiten ab - also zückt Eure Handys und gebt ein Stück der Gastfreundschaft und Hilfe zurück, die Ihr unterwegs mit diesen Leuten genießen dürft! Die paar Minuten habt Ihr ganz sicher und Ihr könnt damit manchmal mehr helfen, als Ihr auch nur ahnt…
Aufgrund aktueller Ereignisse hatten wir letztens in Teheran etwas Zeit, „dumm“ im Internet herum zu surfen und auf YouTube nach Motorrad-Weltreisevideos zu suchen. Ich blättere gerne durch andere Blogs und lasse mich eher davon inspirieren als von Reiseführern, aber wenn es um Motorradreise geht, gaben wir schnell genervt wieder auf. Egal, welch bekannter Motorradreisender auf YouTube Videos, Filme oder nur Trailer online stellt: Drama ist wichtig.
Der eine fürchtet sich vor Entführung und zeigt im Trailer viele Waffen, ein anderer webt Geschichten um einen schlimmen Unfall, der nächste jammert über die teure, ach so komplizierte Ersatzteilbeschaffung, wieder andere quälen sich durch extreme Hitze oder extremen Schlamm, andere campen tagelang im Hafen oder stürzen sich beim Geradeausfahren auf Schotter das Mopped voll Kratzer. Oder Visabeschaffung, auch gerne ein Drama. Immer schön darauf bedacht, sich durch all die überlebten Dramen als Held darzustellen und das Reisen als große Leistung, die so herausfordernd ist, dass „Otto Normalverbraucher“ das besser gar nicht anfängt, mit dem gefährlichen Reisen. Alles zu gefährlich, zu kompliziert, zu teuer, nicht realisierbar. Und wir? Wir möchten Euch das Gegenteil vermitteln und erleben keine Dramen, aber weil man bei YouTube so viel Drama sieht, war klar: Wir brauchten dringend auch ein Drama! Ohne Drama keine Weltreise! Dass wir mitten in einem solchen Drama steckten, haben wir erst beim Ansehen anderer Videos gemerkt, es nur nicht als Drama wahrgenommen Motorschaden im Iran! Ich habe keine Träne vergossen, wir konnten jede Nacht ruhig schlafen und waren uns jederzeit sicher, eine Lösung finden zu können. Wir glauben beide fest daran: auf Reisen gibt es keine Probleme, sondern nur Herausforderungen, die man lösen kann. Aber weil wir bei YouTube festgestellt haben, dass jede Reise ein Drama braucht, machen wir Euch hier eins. Ein kleines. 😊
Zunächst die Fakten: beim Steuerkettenwechsel in Teheran hatten die Mechaniker kurz die Steuerkette von Pet um einen Zahn versetzt eingehängt und den Motor so laufen lassen. Unsere Schuld: wir haben die Werkstatt wegen dem Pressluftschrauber aufgesucht und im entscheidenden Augenblick nicht den Schraubern auf die Finger geschaut. Das Traurige: auch in Deutschland müsste man Schraubern auf die Pfoten gucken, kann es aber nicht.... Schon beim Verlassen Teherans hatte ich das Gefühl, weniger Leistung zu haben. Doch wir schoben es auf die Höhe, denn wir kratzen tagelang an der 3000m Höhe in den Bergen.
Pet hatte deutliches Ventilklappern und erhöhten Ölverbrauch. Das Ventilspiel war zu weit, das haben wir schnell korrigiert und Öl nachgekippt. Dass Pet an manchen Tagen schlecht ansprang, schoben wir auf neu eingestelltes Standgas, 26 Jahre alte Kontakte am Zündkabel, schlechten Sprit, Dreck im Vergaser und versiffte Benzinfilter. All das habe ich in Bojnurd beim großen Service auch behoben: Dreck war einiges im Vergaser und die Spritfilter waren schwarz vor Siff. Weil Jan in Teheran kein frisches Öl bekommen hatte und nur Pet plötzlich hohen Ölverbrauch hatte, tippten wir auf miese Ölqualität und Pet bekam von mir einen Ölwechsel.
Wir verließen Bojnurd mit dem Wissen, nur noch 6 Tage bis zum Anbrechen des Turkmenistan Visums zu haben. Das Visum gibt fixe Einreisedaten und eine fixe Strecke vor, wir mussten also unbedingt 6 Tage später frühmorgens an der Grenze sein. Da wir nur 5 Tage Transitvisa bekommen hatten, durfte auch in Turkmenistan selbst nichts dazwischenkommen. Und wir wussten: uns erwartet brütende Hitze und tiefer Sand, dazu übelste Straßen und viele, viele Kilometer und lange Fahrtage. Die Motorräder mussten also 100% fit sein.
Als wir von Bojnurd Richtung Mashad und Turkmenistan aufbrachen, lief Pet absolut sauber, sie sprang sofort an und hatte nach 100km noch schön goldenes Öl ohne Mehrverbrauch. Ich war sicher, mit dem sauberen Vergaser, frisch angeschnittenem Zündkabel, neuen Spritfiltern und richtig eingestelltem Ventilspiel sowie frischem Sprit das Problem gelöst zu haben. Doch 70km später war kein Ölstand mehr messbar, die Kompression komplett weg und ein Stück vom Kolben weggebrochen. Das mit dem Kolben haben wir erst am nächsten Tag herausgefunden.
Als Pet ohne erkennbaren Grund aus ging, verbrannte ich mir gleich die Finger am Motor, weil ich dachte, der Dekozug würde klemmen. Auch Jan verbrannte sich die Finger, als er die Zündkerze anfasste. Später fanden wir heraus: weil ein Stück vom Kolben in den Auslassventilen hing, erhitzte sich der Motor so sehr, dass die Aluminiumschnitzel auf Kolben und Zylinderkopf schmolzen…
Und dann hielt auch noch dieser Bus voll iranischer Mountainbiker. Wir mussten mit ihnen heißen Tee trinken, Bonbons essen (böser Zucker!) und Fotos für Instagram machen (Datenschutz! Wer denkt an den Datenschutz?). Schlimm, diese gastfreundlichen Iraner! Und das auch noch im Ramadan, wo das doch verboten ist am helllichten Tag! Unfassbar! Schwer, ein Drama zu machen, wo keins ist. Daher lassen wir das jetzt mit dem Drama, das können andere weiter machen und sich damit erfolgreich vermarkten. Wir nicht. Der Motor war tot. Aus die Maus.
Wir organisierten einen Pick-Up, der Pet auflud und zurück nach Bojnurd zu Mohsen brachte. Der iranische ADAC kam zufällig auch vorbei (ja, den gibt es tatsächlich, der heißt hier TAC), aber die waren nicht für Motorradtransport ausgerüstet. Der Pickup hatte nur Schnüre zur Ladungssicherung und brachte Pet und mich zurück. Gut, dass wir anständige Spanngurte für das Gepäck nutzen, mit denen man auch mal ein Motorrad auf einem Pickup (eigentlich ursprünglich mal: Fähre nach England) befestigen kann! Es war eine gemütliche Fahrt durch die Nacht bei lauter persischer Musik, unterhalten konnten wir uns ja sowieso nicht, denn der Fahrer sprach auch nur Farsi, aber mit Musik gute Laune machen hat gut geklappt. Jan und Frank mit seiner KTM EXC500 brausten auf ihren Motorrädern zurück.
Am nächsten Morgen brachten wir Pet mit einem weiteren Pickup zur Werkstatt eines Freundes von Mohsen, um sie dort auseinander zu nehmen. In der Werkstatt waren ganz viele Leute, die alle dachten, sie hätten Ahnung und eine Lösung, zum Beispiel bekamen wir einen 250ccm Kolben präsentiert: passt doch? Nee, passt nicht, Pet ist etwas größer als die großen Motorräder im Iran. 😊 Als das alle kapiert hatten, wurde von alle Menschen, die auch nur irgendwie was mit Motorrädern im Iran zu tun haben, den ganzen Tag im Land herumtelefoniert, ich streckte über meine eigenen Netzwerke alle Fühler in die Nachbarländer aus: Armenien, Russland, Türkei und Dubai. Nirgends gab es die richtigen Ersatzteile. Würde ich nach Europa fliegen müssen?
Doch wenn ich plötzlich das Land verlasse, um Teile zu holen, würde ich bei der Einreise wirklich das visa on arrival am Flughafen bekommen? (Warum da ein berechtigtes Risiko bestand, behalten wir mal für uns…) In den letzten Wochen wurden leider viele Leute wieder ohne Visum in den Flieger zurück gesetzt. Überhaupt: unser Turkmenistan Visum! Aus und vorbei. Das Visum, was nicht jeder bekommt und über das wir so glücklich waren: verfallen! Und keine Chance, es zu verlängern.
Der Landweg über Aserbaidschan heraus zur Fähre über das Kaspische Meer nach Usbekistan: unmöglich. Ich habe da ein Visum im Pass, die in Aserbaidschan für einen Daueraufenthalt mit Vollpension sorgen. Der zweite Pass war in Deutschland, um das Russland Visum zu beantragen. Der dritte Pass in Deutschland, um das China Visum zu beantragen. Wir waren quasi im Iran gefesselt und auch da tickt die Zeit, denn wir haben unser Iranvisum schon aufs Maximum verlängert. Das ist aber kein Drama, weil sich eine Lösung finden wird. Wir wissen nur noch nicht, welche 😊
Wir flogen nach Teheran, wo wir den Zylinder nochmal ausmessen und begutachten ließen und auf der turkmenischen Botschaft ein neues Visum beantragten. Ob wir das bekommen würden? Wir lernten vor der Botschaft zwei Deutsche kennen, die es 3x versucht hatten und einen weiteren Deutschen, der wohl eine Absage einkassiert hat. Riskant, jetzt ohne Visum dazustehen! Wenn wir das Visum nicht bekommen, haben wir ein paar tausend Kilometer Umweg vor uns in ein Land, in das ich wegen einem bestimmten Visum im Pass nicht einreisen darf. Sackgasse, mein zweiter Pass musste her, doch der lag wegen des Russlandvisums ja in Deut