Momente im Bann der Nachdenklichkeit ohne den handelsüblichen Hauch der Melancholie

@w74 · 2025-05-23 04:40 · Deutsch D-A-CH

Es sei dir verziehen und vergeben …

Es handelt sich um jene Augenblicke, die dir die Möglichkeit eröffnen, in der Nachdenklichkeit zu versinken, (wenn es gut läuft) neue Perspektiven zu erahnen, der Zukunft ein farbenfrohes Gewand auf den Leib zu schneidern und im nächsten Moment dir gewiss zu sein, dass der Film innerhalb weniger Stunden überspielt wird und von dem ursprünglichen Drehbuch nur dieser nie wiedereinbringbare besondere Moment bleibt. Meist untermalt von einer Musik, die all das in sich vereint, was man auch als selbst angelegte Fessel bezeichnen könnte.

Denn eine Prise Sadomaso wurde wohl jedem von uns mit auf den Weg gegeben. Ansonsten käme mir jegliche Erklärung dafür abhanden, wieso es mir nicht gelingen will, alltägliche Situationen absolut unangestrengt, oberflächlich wahrzunehmen, stattdessen mit viel Vehemenz und einem geölten Gedankenkarussell aus einem verglühenden Holzstück einen drohenden Waldbrand zu kreieren.

Die französische Künstlerin ZAZ glaubt ihren Weg aus dem Dilemma und zurück zur gedanklichen Unschuld schaffen zu können, indem sie vom Wettergott bis zum hinterlistigen Verleumder alles ihr Widerfahrene verzeiht. Um dem erwünschten Ziel schnell nahezukommen, bittet sie auch all jene um Verzeihung, denen sie im Laufe der Jahre (mit Absicht oder rein zufällig) die spitzen Absätze ihrer Schuhe (Zunge) in den Fußspann gerammt hat.

https://www.youtube.com/watch?v=y39-ddBVRe4&&ab_channel=Zaz

Da bleibt mir nur, der Dame aus Marseille gut gepolsterte Schoner für den Kniefall oder viel Erfolg auf ihrem Weg nach Canossa zu wünschen. Meine Wanderschuhe verbleiben bezüglich einer solchen Expedition ungenutzt im Schrank. Die als generös eingestufte Geste des Verzeihens hat es in der Regel bei mir nicht leicht, in den Produktionsbereich vorzudringen, in dem ein solches Vorhaben zur Umsetzung reift. Es wäre weit gefehlt, wenn der Eindruck entstehen sollte, ich würde diesem Prozess grundsätzlich die Nahrung verweigern. Es gab Momente, in denen ich die Produktion von Verzeihungen auf Hochtouren laufen ließ, um das Geformte im Anschluss großzügig zu verteilen.

Die mit Frustbrocken dekorierte Ernüchterung, die dafür bekannt ist, im 24-Stundentakt aktiv zu sein, wies mich im Anschluss an meine Verkündung einer Amnestie in Bezug auf Groll vollkommen emotionslos auf exakt jenes hin, was ich im Vorfeld bereits befürchtete. Ich hatte zwar aus dem Bauch heraus und mit Worten verziehen – aber nicht vergessen (von der inneren Festplatte gelöscht). Ein Umstand, der dazu verleiten kann, in ganz spezifischen Augenblicken mit gespaltener Zunge den Small Talk zu führen. Der linke Teil des Gaumenfüllers trieft nur so vor Liebenswürdigkeit, während ich den rechten Teil am liebsten den Zähnen zum Fraß vorwerfen würde.

Da ich das Stolpern in solche und vergleichbare Peinlichkeiten nicht zum Dauerbrenner heranreifen lassen wollte, zimmerte ich mir ein Konstrukt mit eingebautem Schutzfaktor – mit dem ich überraschend gut zurechtkomme. Was die Vermutung nahelegt, als Stabilisator reichlich Egoismus verwendet zu haben. (Warum auch nicht, da stets im Sonderangebot zum perfekt zugeschnittenen Gebrauch für den persönlichen Bedarf). Die Funktionen kann ich mit wenigen Sätzen erläutern.

Menschen, die auf meiner Tastatur der Sympathie die richtigen Töne treffen, werden von mir im realen existierenden Dialog geduzt. Wer dies als einen Frontalangriff auf seine Privatsphäre begreift, dem steht es frei, mir dies mitzuteilen. Mir ist dies allerdings fast nie widerfahren. Beim Duzfreund bedarf es kaum einmal einer förmlichen Entschuldigung oder der Bitte um Vergebung für unangemessenes Verhalten. Man verteilt spontan gegenseitig Adelstitel wie Arschgesicht, Depp oder Vollidiot und die Angelegenheit ist erledigt.

Andererseits halte ich für jene Zweibeiner, die bei jedem Versuch des gemeinsamen Musizierens in der Disharmonie verweilen, die verbale Höflichkeitsform bereit, von der (meiner Ansicht nach) fälschlicherweise behauptet wird, sie bekunde Respekt und Anstand. Bei mir dagegen signalisiert das „per Sie“ eine schwerlich zu überwindende Distanz. Meist huschen dabei diese Gedanken durch meinen Hinterkopf: „Hoffentlich teilen wir in Zukunft nicht häufiger das zweifelhafte Vergnügen des Beisammenseins“, oder „der Blick auf deine Rückseite wäre mir tatsächlich lieber.“ Der kroatische Musiker und Komponist Zlatan Stipišić, besser bekannt als Gibonni, vertritt die Annahme, dass es Menschen erheblich leichter fällt zu sterben, als sich bei jemandem zu entschuldigen.

https://www.youtube.com/watch?v=fxTjviNojuo&&ab_channel=RokGolob-miRAkulusMusic%28GRok%29

Eine recht waghalsige Theorie, da mir noch niemand vorgestellt wurde, der das mit dem Sterben und all dem Drum und Dran (was so dazu gehört) durchzog, danach wieder auf der Bildfläche erschien, um dann seine Sicht auf Gibonnis Hypothese zu verkünden. Hätte ich die Qual der Wahl, würde ich mich vorsichtshalber für die Entschuldigung entscheiden. Während dieses Vorgangs, bei dem zudem keine Trauerkleidung vorgeschrieben ist, bliebe mir obendrauf die Möglichkeit, Mittel- und Zeigefinger hinter meinem Rücken gekreuzt zu halten.

Ich bin schon jetzt gespannt, bei welchem Thema ich mich demnächst verhake, wenn ich wieder versinke in dem Moment im Bann der Nachdenklichkeit ohne den handelsüblichen Hauch der Melancholie?

https://www.youtube.com/watch?v=YymSClz-RIo&&ab_channel=EmilioPiano

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