Tickt dieser Wecker noch richtig? 
Die Wortmeldung aus den vergangenen Tagen (ob von irgendwelcher Seite her erbeten oder auch nicht, entzieht sich meiner Kenntnis), publiziert in den verschiedensten Medien, scheint sich so rasch nicht aus meinem Hinterkopf verabschieden zu wollen. Somit ein plausibler Grund, sich mit dem hartnäckigen Quälgeist ein wenig intensiver zu beschäftigen. Voll der Hoffnung, den Dauergast zur Abreise animieren zu können.
Bemerkenswert dabei, dass der Genosse Zufall in der Angelegenheit keine ganz unwichtige Rolle zu spielen scheint. Denn ursprünglich kreisten meine Gedanken um die mir nicht nachvollziehbare Tatsache, dass es sich noch immer nicht herumgesprochen zu haben scheint, dass der Ausdruck (mit der Prise Entsetzen im Gepäck) »um Himmels willen«, wenn er in schriftlicher Form auf das Papier gelangt, in den überwiegenden Fällen so dargestellt wird, als habe der Himmel einen eigenen Willen. Dem ist, auch beim besten Willen, nicht so.
Die Präposition leitet sich zwar von jenem Substantiv ab, fungiert allerdings in dem Zusammenhang (ob mit Gott oder dem Himmel) als Adverb. Vergleichbar mit seinetwillen oder ihretwillen. Dass dies eine deutsche Fernsehanstalt wenig bis überhaupt nicht tangiert und über Jahre hinweg eine TV-Serie mit dem Titel »Um Himmels Willen« zum Konsum anbietet, sagt einiges über die Kompetenz in den Redaktionen aus.
Doch jetzt rasch zurück zum Genossen Zufall und dem Quälgeist im Hinterkopf. Es geschah nämlich beim Lesen jener Wortmeldung, als ich spontan »Um Himmels willen« mir in den Bart flüsterte. Vielleicht war es auch die Variante mit Gott? Spielt allerdings keine entscheidende Rolle, da sich hier bereits das Entsetzen den Platz in der ersten Reihe gesichert hatte. Der Funke Fassungslosigkeit wurde entzündet durch die Offenbarung des Texters und Musikers Konstantin Wecker, der ganz offensichtlich mit 78 Jahren das dringende Bedürfnis verspürt, sich als Junkie (Suchtkranker) mit all den Nebenwirkungen zu offenbaren.
Was, in drei Teufels Namen, treibt jemanden dazu, öffentlich zu plakatieren, öfter sinnlos zugedröhnt aus dem eigenen Bett gefallen zu sein und es der Hilfe von Ehefrau und Kindern bedurfte, zurück auf die Matratze zu gelangen? Oder das Ritual, sich am Münchener Hauptbahnhof mit Alkohol und Crack zu versorgen, um anschließend in den Vollrausch abzutauchen. Frau Wecker scheint mir doch mit einem recht stabilen Nervenkostüm ausgestattet zu sein. Zwei Abstecher des Gatten hinter Gitter und gescheiterte Entzüge von den verschiedensten Suchtmitteln scheinen Konstantin Wecker offenbar zu wenig Material für offene Fragen der Nachbarn an die Dame des Hauses in der Früh beim Bäcker um die Ecke zu sein.
Doch (Wecker wäre nicht Wecker) verpackt er theatralisch seine Beichte in einer aus Dramatik geflochtenen Hülle. „Ich kann nicht mehr Klavier spielen.“ Was geht mir, der ich das Schaffen und Treiben dieses Künstlers seit sehr langer Zeit verfolge, dabei spontan durch den Kopf? Um Himmels willen – das kommt doch einer Katastrophe recht nah? Keinesfalls! Denn ehrliches oder geheucheltes Mitleid scheint mir hier fehl am Platz. Wer über einen langen Zeitraum hinweg auf des Messers Schneide tanzt, sollte nicht verwundert sein, wenn eines Tages tiefe Schnittwunden seinen Körper zieren.
Ich saß mit oben auf der Bühne, als Wecker (nach seinem ersten, vom Kokain beschleunigten Absturz) nur mit seinem Piano auf Tour ging. Ohne, dass ihn jemand aus dem Publikum danach fragte, ließ uns an jenem Abend der Künstler wissen, in dem Glas, welches auf seinem Instrument steht, befände sich lediglich Salbei-Tee. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass jemand im Saal die Vermutung oder vielleicht Hoffnung hegte, Zeuge dessen zu werden, wie Wecker sich zwischen dem erschlagenen Willy und Giordano Bruno eine Linie Koks in den Schädel zieht oder den Wodka aus dem Wasserglas hinter die Binsen kippt. Die überwiegende Mehrheit wünschte sich wohl nur, ein gutes Konzert miterleben zu können. Zudem war der Hang zu Minze und Salbei ohnehin nur von kurzer Dauer.
Daher zum Abschluss meine Bitte an all jene, die durch eine besondere Gabe andere Menschen an ihrer Kreativität teilhaben lassen und zu begeistern wissen: Mich um Himmels willen mit Informationen zu verschonen, um die ich nicht gebeten habe. Es interessiert mich schlichtweg nicht, ob die Prostata Probleme bereitet, die Hand zittert oder die Nasenscheidewand erste Löcher aufweist. Wenn es mit der Kreativität am Ende scheint, bleibt wohl nur noch die Biografie als letzte Zapfsäule. Wie aufbereitete Altlasten zwischen zwei Buchdeckeln. Für meinen Speisezettel jedoch nicht geeignet. Viel zu schwer verdauliche Kost – dazu auch noch mit einem faden Beigeschmack.