… nutze ich dies in meiner schon beinahe gekonnt daherkommenden Anpassungsfähigkeit rücksichtslos aus!
Letzte Woche wurde ich kurzzeitig von dem Gefühl überrannt, endlich auch einzusteigen, ins wirre Geschehen der permanenten Angstmacher und fehlgeleiteten Heimatliebhaber. Wer will mir das verdenken, berücksichtigt man den enormen Druck, der sich wild ausbreitenden Borniertheit, die diese Schreihälse wie eine Burka dem Land überzuziehen versuchen. Das dadurch eingeengte (eingeschränkte) Blickfeld scheint mir dabei durchaus gewollt.
Um ein Haar wäre die Eilmeldung mit Karacho an mir vorbeigerauscht, da ich zu beschäftigt mit den Fragen war, wie es Trump nun doch fertigbringt peu à peu die Gelder für seine Mauer loszueisen und ob er einen kleinen Batzen davon seinem Freund Boris in London zukommen lassen wird, der so etwas Vergleichbares zwischen Dublin und Belfast errichten möchte? Außerdem (und hier geht mein Blick zurück auf die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen) konnte ich noch immer nicht in Erfahrung bringen, wie viel Gelder der Volkspartei AfD nun zugeflossen sind? Hier kann ich im Übrigen den neidischen Blick der Genossen sehr gut nachvollziehen!
So unfassbar es auch klingen mag, ich habe sie jedoch trotzdem noch zu fassen bekommen - die Meldung, dass es die Ausländer, Migranten, Flüchtlinge, Fremdlinge, Terroristen oder als was immer sie gerade im Umlauf sind, es bis knapp vor meine Haustür geschafft haben. Nein, hier muss ich die Hetzer nun enttäuschen, es war nicht die Panik, die mich aus der aufgeheizten Stube trieb, sondern vielmehr die Neugier, wie die wohl aussehen mögen, die es zu Fuß von Griechenland bis kurz vor die Karawanken geschafft haben. Was soll ich sagen? Gut sahen sie aus! Ein bunt zusammengewürfeltes Häufchen aus den verschiedensten Ländern und, was mich insbesondere überraschte, alle bei bester Gesundheit. Da mir das im Dorf keiner so wirklich glauben würde, pferchte ich die Herumtreiber kurzerhand ein und hielt den Augenblick auf einem Foto fest.
Wie immer, wenn überhaupt mal was passiert, verirren sich Neuigkeiten nur allzu gerne in Ställen, Weinkellern und Vorratskammer, entfachen eine unwiderstehliche Neugier und treibt die so infizierten Nachbarn auf meine Terrasse. Ein kurzer Blick auf die Neuankömmlinge genügte, um zirka 27 Ratschläge zu erhalten, wie mit den Fremden umzugehen sei. Als eindeutiger Sieger unter den spontanen Vorschlägen, ging ganz klar der kurze Prozess hervor. Bauern, allgemein nicht unbedingt als ausführendes Organ demokratisch gefällter Entscheidungen bekannt, werden jedoch zu glühenden Verehrern derartiger Verfahrensweisen, wenn sie sich einen Vorteil davon versprechen oder es ihnen ganz einfach in den Kram passt. Letzteres galt in diesem Fall für den kurzen Prozess.
Eines der vorgebrachten Argumente soll verdeutlichen, weshalb ich mich dann doch dazu entschied, meiner Weltoffenheit und gelebten Toleranz Sonderurlaub zu gewähren und selbst im aufgeheizten Sud von Volkes Meinung unterzutauchen.
“Warum sollen wir jetzt Zagreb informieren? Wenn die Streuner sich bei uns vor die Tür wagen, dann machen wir von unserem Hausrecht Gebrauch. Da stören die Dummschwätzer aus der Hauptstadt nur!”
Außerdem haftet dieser, von geistigem Tiefgang geprägten Aussage, ein Hauch von Anarchie an. Also exakt der Duft, der meist radikalen Veränderungen vorauseilt. Da sich diese Anarchie, um es vorsichtig auszudrücken, im Dorf normalerweise sehr rar macht, konnte auch für mich die Losung nur lauten: Packen wir die wilde Bestie beim Schopf und pressen sie aus wie eine vollreife Traube kurz vor ihrem Sprung ins Holzfass.
So wurde der spontan zusammengekommene Rat zur Rettung der ländlichen Kultur Zeuge eines Phänomens, das sich so selten zeigt, wie die erwähnte Anarchie - und zwar die Einigkeit in der geplanten Vorgehensweise. Ein kleines bis mittelgroßes Wunder, da der gemeine Landwirt eigentlich nur mit sich selbst einig ist. Eine zweite Meinung wirkt da grundsätzlich nur störend. Während die ausländischen Eindringlinge in ihren zugewiesenen Unterkünften relativ geduldig ausharrten, wurde im Komitee bei Weißwein, hausgemachtem Speck und wenig Brot über die genaue Vorgehensweise und die Aufteilung der Zuständigkeiten beraten. Da meine Mitbürger sich ausschließlich für den Aufgabenbereich eines Staatsanwaltes oder des Richters interessierten, blieb an mir die Rolle des Exekutor hängen. Nach einer kurzen, jedoch sehr intensiven Phase des Nachdenkens, gelang es mir, mich mit der zugeteilten Rolle anzufreunden. Eine Freundschaft, die ihren Ursprung aus der Erkenntnis zog, dass der Henker meist alle Massaker heil übersteht - was von Richtern und Staatsanwälten nicht unbedingt behauptet werden kann.
Kaum waren die lästigen Formalitäten mit einem kräftigen Schluck heruntergespült, meldete sich auch schon einer der Ankläger zu Wort und erläuterte dem Team der Richter, welches Strafmaß er für angemessen hält. Um den Prätoren jedoch etwas Spielraum auf dem Acker der Rechtsprechung zu lassen, beschränkte er sich auf das Einpflöcken einiger Verben, die mich über die Frage sinnieren ließen, ob mir überhaupt genügend Holz für den Schafott zur Verfügung steht. So lagen sie dann da, direkt neben dem Speck, die prägnanten Forderungen: rösten, braten, kochen und dünsten. Die Möglichkeit des Einfrierens wurde nicht in Betracht gezogen, da die meisten Truhen im Dorf von Schweinen und Hühnern besetzt gehalten werden. Da mit einem Freispruch, auch im volltrunkenen Zustand, nicht gerechnet werden konnte, widmete ich mich der diffizilen Aufgabe des Anheizens. Doch vorher warf ich noch einen Blick auf die Inquisiten, was sich als wenig gute Idee herausstellte, da mich fortan auch noch die Frage beschäftigte, wie unterschiedlich die Fremdlinge wohl auf Hitze reagieren?
Um in dieser Angelegenheit möglichst schnell Licht ins Dunkle zu bekommen, bestückte mein in die Jahre gekommenes Klein-Guantanamo mit Holz und gab dem Hobel Feuer unter den Hintern. Im Grunde genommen war ich ganz froh der Judikative für den Moment den Rücken gekehrt zu haben, da ich mich, abseits des Geschachers um gerechte Garmethoden, in aller Ruhe mit den Fremdlingen intensiver beschäftigen konnte. Ich verwaltete ja noch immer meine Ahnungslosigkeit, was die Herkunft, Familienstand und Verwandtschaftsgrad der Truppe betraf. Als sehr gesprächig hatten sie sich seit ihrem Erscheinen nämlich noch nicht gezeigt. Aber andererseits (und das musste ich mir eingestehen) von unserer Seite auch nie wirkliches Interesse an den Belangen und Verlangen der Neuankömmlinge bekundet wurde. Lediglich bei der Bestimmung des Geschlechtes machte sich Zuversicht breit, da der Allmächtige in dieser Hinsicht sich wohl auf der ganzen Welt mit zwei Varianten zufrieden gibt - abgesehen von ein paar geringen Abweichungen. Jedoch wurde ich ganz schnell eines Besseren belehrt. Die Ersten, mit denen es mir gelang, einigermaßen ins Gespräch zu kommen, waren zwei Auberginen, die stur und steif behaupteten, sie kämen aus Persien und seien verheiratet.
Ich meine, es kommt ja durchaus vor, dass ein Ehepaar, je länger es gemeinsam seine Zeit auf dem Sofa verbringt, sich nicht nur mit den Essgewohnheiten, sondern auch im äußeren Erscheinungsbild annähert. Bei diesm Paar hatte ich jedoch sofort meine Zweifel. Nicht wegen Persien, Iran oder wie immer der Flecken heißt, sondern wegen der verblüffenden Ähnlichkeit, die die beiden zur Schau trugen. Ich hätte eher auf eineiige Zwillinge getippt (womit ich vermutlich auch recht hatte). Doch blieben die Flunkerer stur bei ihrer Version und legten gar noch nach mit der nicht minder dubiosen Behauptung, wegen dieser verblüffenden Ähnlichkeit auch Eierfrüchte genannt zu werden. Die Bestimmung, wer nun der Mann und wer sich um den Haushalt kümmert, schenkte ich mir, da ich ein weiteres Lügenmärchen nicht über mich ergehen lassen wollte. Es war eindeutig an der Zeit, die Herrschaften mitsamt ihren zusammengebastelten Geschichten auf Betriebstemperatur zu bringen.
Doch waren es nicht die verheirateten, persischen Zwillinge, denen ich zuerst die Füße anwärmte, sondern die ganze Sippschaft aus dem Hause Paprika, die den weiten Weg über den Ozean nicht gescheut hatte, nur um sich jetzt ständig wichtig zu machen und würzige Kommentare beizusteuern. Um dem Benehmen entgegenzusteuern, hielt ich eine Abfuhr ins heiße Fett für durchaus angebracht. Erst nachdem die roten, grünen und gelben Schoten so richtig Dampf abließen, folgten Herr und Frau Aubergine. Ob die beiden Volksgruppen den gemeinschaftlichen Saunagang als förderlich für das Zusammenleben in der neuen Heimat empfanden, kümmerte mich wenig, da meine Konzentration inzwischen der kommunistischen Fraktion aus Mittelamerika galt, die sich still und heimlich rollend unter die Dorfbevölkerung mischen wollte.
Mit solchen und ähnlichen Eskapaden muss bei plötzlich auftauchenden Ausländern immer gerechnet werden, vollkommen egal, ob aus dem Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt und Präsens heraus argumentiert oder vorausahnend das Futur bemüht wird. Ein ganz klein wenig rotes Gedankengut kann im Nu einen Flächenbrand auslösen, wie ihn Luxemburg noch nie erfahren und Andorra vielleicht irgendwann erleben wird. Ohne Rücksprache mit der, durch Gleichgewichtsstörungen bereits stark beeinträchtigten Justitia, griff ich zu meinem schärfsten Messer und schnitt dem revolutionären Pack den Weg ab. Sichtlich mit meiner konsequenten Vorgehensweise und noch mehr mit mir selbst zufrieden, gönnte auch ich mir gleich darauf einen kräftigen Schluck aus der Flasche mit dem vergorenen Rebensaft, dem nachgesagt wird, ein wunderbares Karussell im Zentralgestänge des Hinterkopfes beim ahnungslosen Konsumenten zum Laufen bringen zu können.
In der sich mir langsam anbahnenden Selbstverliebtheit aalend, konnte ich nun beobachten, wie unter den kasernierten Flüchtlingen anfänglich immer hitzigere Diskussionen und dann erste physische Übergriffe die Großwetterlage bestimmten. Die heimlich gehegte Hoffnung der anwesenden Dorfbevölkerung, das fremde Pack möge sich gefälligst selbst eliminieren, konnte somit einen enormen Aufschwung verzeichnen, zumal die ganze Chose heftig kochend überzusprudeln drohte. Um jedoch dies auf jeden Fall zu verhindern, entschied ich mich zu der Variante, Klein-Guantanamo zu schließen und stattdessen die Fremdlinge in überschaubare Grüppchen aufzuteilen.
Kaum war diese Deportation auf der Bühne der menschlichen Wohlgefälligkeit vollzogen, stand einer der Richter neben mir, legte mir freudig erregt seine verhornte Pranke auf die Schulter und sprach die letzten Worte in diesem kurzen Prozess :
“Jetzt noch einen Deckel drauf und der Affe ist tot.”
Am nächsten Morgen meldeten sich, neben einem unerbittlichen Kater, auch die Toleranz, die humane Gesinnung und die so schwer definierbare Weltoffenheit zurück. Nicht bestellt, aber mit im Gepäck, das unablässig pochende, schlechte Gewissen.
So ergab es sich, dass das neu formierte Sextett vor einigen Gläsern mit köstlich eingemachtem Gemüse stand und sich darüber einig war, dass der Mensch, wenn er sich von seinem klaren Verstand verabschiedet, doch auf ziemlich saudumme Ideen kommen kann.