Antimonopole als Gegengewicht gegen die Macht der Monopole
Eine Abschaffung von Monopolen ist geboten und kann ohne Not vonstatten gehen z. B. bei der Gesetzgebung (s. Teil 17 Vom Vertrag zum Gesetz in #freie-gesellschaft) oder bei der Persönlichkeitsbildung (s. @zeitgedanken Serie Persönlichkeitsbildung). In einer freien Gesellschaft darf es Monopole in diesen beiden Bereichen nicht geben, weil das automatisch Nötigung nach sich zöge. Auch in allen anderen Fällen, in denen sich Monopolismus nicht legitimieren lässt, könnte man ihn zugunsten des Wettbewerbs abschaffen. Aber was wird mit den übrigen, insbesondere mit den obligaten Monopolen? Hier hilft nur eins: eine sinnvolle und effektive Strategie der Bändigung.
Setzen wir einen bereits durch Abschaffung, durch betriebliche Entflechtung oder durch Privatisierung geschmälerten Monopolismus voraus (s. Abschnitte Teil 30, 32 und 32ff), so ist dies noch keine Garantie dafür, dass Wucher (Ausbeutung) und Willkür (Tyrannei) aus der Gesellschaft verschwinden. Abhilfe schaffen die Antimonopole. Ein Antimonopol ist eine Tauschgutabnehmervereinigung als Gegenmacht gegen die Macht eines ihm korrespondierenden Monopols. Es ist der Interessenverband aller Tauschpartner eines Monopols. Jedes einzelne Monopol in der Freien Gesellschaft hat ein Antimonopol als Machtgegengewicht. Sein Zweck ist die tauschpartnergerechte Gestaltung der Preise für Monopolgüter und - im Fall des Rechtsschutzes - die Beschneidung juridischer Willkür.
Auch in der Staatsgesellschaft gibt es „Antimonopole“. Sie weichen in ihrem Aufbau und in ihrer Funktionstüchtigkeit wesentlich von denen der Freien Gesellschaft ab. Der Unterschied wird in den folgenden Abschnitten herausgearbeitet. Wir wollen ja wissen von was wir sprechen. Zunächst soll untersucht werden, in welcher Gestalt der Antimonopolismus in Staatsgesellschaften auftritt und wie er funktioniert (hier im Anschluss). Danach ist zu erörtern, wie die entsprechenden Einrichtungen in der Freien Gesellschaft aussehen (im Folgenden: Teil 35 in #freie-gesellschaft)
Antimonopole in der Staatsgesellschaft
Aufgrund der Selbstherrlichkeit der Monopole drohen Wucher und Willkür (s. Teil 11 und Teil 25). Das ist beim Staatsmonopolismus nicht anders. Dass Befürchtungen in Bezug auf die Selbstherrlichkeit des Staatsmonopolismus keine Schimären sind, hat die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte genugsam erfahren.
Die Staatsgesellschaften versuchen, durch Parlamente, Schöffen und „Regulierungsbehörden“, die unter der Regie der Parlamente stehen, Wucher und Willkür zu beseitigen, die ihnen durch Monopolbetriebe drohen.
Die Instanz, die nach heutiger Auffassung die Macht der wichtigsten Monopole der Gesellschaft, nämlich die der Staatsmonopole, Einhalt gebieten soll, ist das Parlament. In der Verlagerung der politischen Kommandozentrale heraus aus der staatlichen Exekutive sah man den entscheidenden Schritt, die Abnehmer „öffentlicher“ Dienstleistungen vor den Ambitionen und Launen des Exekutivmanagements (in früheren Zeiten die Könige und ihre Kombattanten) zu schützen. Dafür sollten die Parlamente - so die ursprüngliche Vorstellung - nicht nur als Gesetzgeber, sondern vor allem auch als Kontrollinstanzen für die Staatsbetriebe herhalten, also als eigenständige Macht in Gegenstellung zur exekutiven Staatsmacht. Sinn solcher „Gewaltenteilung“ sei der Schutz der Bürger vor Wucher und Willkür des Staatsapparats.
Nun sind es in der Staatsgesellschaft aber gar nicht zwei Machtzentren, nämlich Monopolbetrieb und Parlament (als Antimonopol), die als Gegenspieler auftreten. Das heutige Parlament ist in Wahrheit nicht das Regie- und Kontrollorgan, für das man es halten sollte. Es tritt eher in der Rolle des Helfers als in der Rolle des Gegenspielers des Staatsmonopolismus auf. Brücke und Bindeglied zwischen Parlament und Monopolmanagement sind die politischen Parteien.
Die Mitglieder des Parlaments sind keine unabhängigen und kompetenten Personen, die die Regie und Kontrolle als eigenständige politische Funktion wahrnehmen. Sie werden zusammen mit dem Monopolmanagement von den politischen Parteien an die Spitze der Gesellschaft gestellt. Der heutige Staat ist durchgängig „Parteienstaat“ (Gerhard Leibholz, 1998).
Die Staatsgesellschaft bringt mit ihrem Parlament zwecks Zügelung der staatsmonopolistischen Macht formal zwar so etwas wie ein Antimonopol in Stellung. Das ist aber in der Hand von Instanzen, die zugleich auch den staatlichen Monopolkonzern personell bestücken, nämlich in der Hand der Parteien.
Aus privaten Vereinigungen politischer Willensbildung, die die Parteien ursprünglich waren, sind im Laufe der Jahrzehnte straff organisierte und öffentlich finanzierte Holdings zur Erlangung und Erhaltung der politischen Macht geworden, die vor allem auch eine ökonomische ist (Hans Herbert von Arnim, 2017). So unerfreulich für die Nutzer und Verbraucher öffentlicher Güter die Konzernstruktur des Staates ohnehin schon ist, so niederschmetternd ist die Tatsache für ihn, dass die Instanz, die zur Regie und Kontrolle dieses Konzerns geschaffen wurde, nämlich das Parlament, in den Konzern voll integriert ist.
Im Parteienstaat sind die „Exekutive“ als staatliches Aktionsorgan (Monopol) und die „Legislative“ als staatliches Kontrollorgan (Antimonopol) sowohl personell als auch entscheidungsrechtlich miteinander verflochten. Sämtliche Machtinstanzen liegen in den Händen der Parteiapparate. Kontrollierte und Kontrolleure bilden eine Einheit. Zwischen Ministern und Staatssekretären (den Monopolbetreibern) und Parlamentariern (den Monopolkontrolleuren), besteht sogar Personalunion.
„Es gäbe keine Freiheit mehr, wenn…die exekutive Befugnis einer bestimmten, aus der legislativen Körperschaft ausgesuchten Personenzahl anvertraut wäre, denn die beiden Befugnisse wären somit vereint“, wusste schon Charles-Louis de Montesquieu, der übrigens die Bezeichnung „Gewaltenteilung“, die sich heute fälschlicherweise eingebürgert hat, hier wie auch sonst in seiner Schrift aus gutem Grund vermeidet (Er spricht wie Kant von getrennten „Befugnissen“; Nachdruck 1965).
Die dringend notwendige Verbraucherregie über den Staats-monopolismus findet im Parteienstaat nur theoretisch statt. „Das Parlament insgesamt hat seine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung weitgehend eingebüßt... Hier zeigt sich, dass unser modernes parlamentarisches System eine Lücke aufweist. Das Parlament des vergangenen Jahrhunderts war das Kontrollorgan der konstitutionell-monarchisch organisierten Exekutive. Mit der Wandlung zur Parteiendemokratie vollzog sich… eine grundlegende Änderung: Die Parlamente - übrigens nicht nur in Deutschland - haben ihre Kontrollfunktion weitgehend aufgegeben“ (Ernst Kunze und Klaus Schelle, 1977; auch Hans Herbert von Arnim, a. a. O.). Dass es neben dem Parlamenten in Deutschland noch eines mitgliederstarken „Bundes der Steuerzahler“ und gleichgerichteter Verbände bedarf, spricht für sich.
Die Idee der „Gewaltenteilung“ hat im Parteienstaat keinen Platz. Montesquieu würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen könnte, was der Parteienstaat aus der von ihm propagierten Idee der Machtaufteilung gemacht hat. Die aus der europäischen Aufklärung überkommene Idee der „Gewaltenteilung“ erscheint bei einem Staat, der in Form eines Parteienstaates existiert, völlig verfremdet. „Gewaltenteilung“ tritt nur noch als Blockade der Regierungsparteien durch die Oppositionsparteien in Erscheinung.
Dass die Macht zwischen Anbietern und Abnehmern von Gütern, insbesondere beim Tausch mit öffentlichen Gütern, dem Prinzip „checks and balances“ gemäß sein sollte (s. Abschnitte Teil 11 und Teil 30 in #freie-gesellschaft), gerät in der heutigen politischen Praxis, aber auch bei einem Großteil der politischen Theorie, gänzlich außer Sicht. Neben der horizontalen und vertikalen Machtaufteilung (der Fraktionierung des Monopolismus in Einzelbetriebe; s. Teil 32) ist nun auch die Teilung zwischen Kontroll- und Aktionsinstanzen im Staate unmöglich.
Im Parteienstaat haben die Mitglieder der regierenden Parteien regelmäßig die Spitzenpositionen aller eigentlich zu trennenden „Gewalten“ inne. So sind die Geschäftsführerrolle des deutschen Bundeskanzlers und die Managementposten der Minister und Staatssekretäre wie selbstverständlich mit der Rolle der angeblich kontrollierenden Parlamentarier verkoppelt, und zwar über die Parteien. Die jeweils herrschende Partei schmiedet die politische Regulierungs- und Kontrollfunktion (die Legislative) mit der politischen Realisierungsfunktion (der Exekutive) zusammen, beseitigt also faktisch die von ihr so oft und gern im Munde geführte „Gewaltenteilung“.
Die vielbeschworene politische „Gewaltenteilung“ ist mit der Existenz eines Parteienstaats ad absurdum geführt. Begegnet uns die Idee der geteilten politischen „Gewalten“ (ein wirklich sehr unpassender Ausdruck; s. o.) angesichts des staatlichen Konzernmonopolismus ohnehin schon bis zur Unkenntlichkeit entstellt, so erscheint diese Idee, bezieht man den Aspekt „Parteiismus“ in die Betrachtung mit ein, geradezu vernichtet.
Noch zusätzlich gestützt und gerechtfertigt durch die Ideologie der Hoheitlichkeit (s. Teil 12 ff) kann jeder Staat seine Bürger zu kümmerlichen Bittstellern herunterdrücken, wo sie doch eigentlich - in ihrer Rolle als Abnehmer von im Tausch angebotenen Gütern – „König Kunde“ sein sollten. Hier zeigt der Staat ganz unverhohlen sein Gesicht, ein Gesicht, das er immer schon hatte, seit seiner Entstehung zu Zeiten der „Herrscher von Gottes Gnaden“: Er bestimmt den Preis für seine Leistung beliebig, er erbringt die Leistung beliebig und er beurteilt Streitfälle beliebig, vor allem die, die seine eigenen Leistungen betreffen, also die, die im Rahmen des sogenannten „öffentlichen Rechts“ in die Welt gelangen.
Dass der Parteienstaat den Preis für seine Leistung beliebig bestimmt, zeigt sich vor allem bei der Gesetzgebung der Parlamentarier in eigener Sache, wo auch die Einkommen der Abgeordneten festgelegt werden. Die politische Klasse ist die einzige Gruppe der Gesellschaft, die sich ihr Salär in eigener Regie und in selbstbestimmter Höhe festlegen kann. Die übrige Bevölkerung ist bezüglich ihres Einkommens vom Markt abhängig, von Lohn- und Werkverträgen, vom „König-Kunden“, vom Wettbewerb und seinen Gepflogenheiten, von Aufsichtsgremien usw. Nur die politische Klasse ist davon frei.
Hans Herbert von Arnim spricht angesichts der Tatsache, dass die Parteien z. B. nur 160 Millionen Euro Gesamtsumme zu ihrer Finanzierung offiziell angeben, wo es in Wahrheit weit über eine Milliarde sind, von Betrug. Um das Publikum zu täuschen, haben sich die Parteien Ersatzorganisationen mit gesonderten Kassen geschaffen. In diese fließen dann die zusätzlichen Gelder.
Dabei muss man den Politikern Deutschlands zugute halten, dass sie es im Vergleich etwa mit afrikanischen Machthabern nicht übertreiben mit der Höhe ihrer Einnahmen. Die Methoden, die Gelder dafür zu requirieren, sind aber dieselben. Übrigens würden angesichts ihrer Mittelmäßigkeit deutsche Parlamentarier in keiner Wirtschaft der Welt so hoch bezahlt wie beim Staat (Christoph Braunschweig, 2015).
„Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht“, sagte Richard von Weizsäcker, als er noch nicht deutscher Bundespräsident war. Sprach’s, und nicht lange danach wurde er zum Präsidenten gekürt - - durch die Parteien. An diesem Beispiel ist zu erkennen, dass es im Parteienstaat recht lukrative Pöstchen zu erhaschen gibt, für die man sich schon mal gern politisch korrekt verhält.
Die wesentlichen politischen Entscheidungen der Staatsgesell-schaft fallen hinter den verschlossenen Türen der Parteizentralen. Überall, von der Beschulung über die Kommunikations- und Verkehrseinrichtungen bis hin zum privaten Strom- und Wasserverbrauch, zeigt sich die geballte Macht der Parteien. Die Nutzer und Verbraucher „kollektiver“ Güter hängen auf Gedeih und Verderb an deren Nabelschnur.
Wo eine Verkettung von Exekutivmonopol und Legislativinstanz besteht, hat immer die Exekutive das Sagen, eine vom Monopolnutzerstandpunkt aus fatale Konstellation. Während der „Verbraucherschutz“ den Privatanbietern gegenüber oft bis ins Absurde und Skurrile hinein gesteigert erscheint, ist er den Staatsmonopolen gegenüber so gut wie nicht vorhanden. Eine solche Situation ist, gemessen an der Idee einer menschengerechten Gesellschaft, naturwidrig. Sie behindert den schlüssig-humanen Aufbau von Gesellschaftlichkeit. Das bedeutet, dass eine Fülle von Möglichkeiten individueller Lebensentfaltung der Bürger vereitelt wird. Der Staat hingegen wird zum „Paradies der politischen Klasse“ (Hans Herbert von Arnim, 2017).
Die Staatsgesellschaft hat zwar eine Reihe von Verbraucherschutzverbänden, die hin und wieder auch Monopole im Visier haben. Aber gegen den stärksten und wildesten Monopolisten schützen sie nicht. Denn dieser alimentiert sie. So sind die Verbraucherverbände die gut gefütterten Kettenhunde der Obrigkeit. Sie dürfen jedes Angebot auf dem Markt zerpflücken, nur die Angebote des Staatsbetriebs nicht.
Bei der Gesetzgebung der Parlamentarier in eigner Sache (s. o.) tritt zutage: trotz Gliederung in unterschiedliche Fraktionen, die durch die Parteien geschaffen sind, stellt das Parlament einen einheitlichen Block dar. Es ist so etwas wie ein Syndikat. Der Konzernstruktur des Staatsbetriebs entspricht als Pendant die Syndikatsstruktur des Parlaments („politisches Kartell“, „Einheitspartei mit mehreren Parteien“; Hans Herbert von Arnim, a. a. O.). Beide Machtblöcke sollen sich angeblich gegenseitig in Schach halten. So war es früher einmal gedacht, denn das war die ursprüngliche Intention zur Realisierung des Prinzips „checks and balances“. So ist es aber heute nicht mehr.
In der parlamentarischen Demokratie tritt die zum Parteiensyndikat verflochtene, angeblich antimonopolistische Macht dem Staatsmonopolismus gegenüber nicht als Gegenspieler auf. Sie ist sein Bundesgenosse. Das ist der Grund dafür, dass die Parlamente als Regie-, Kontroll- und Aufsichtsinstanzen bisher ohne nachhaltige Wirkung geblieben sind. Sie mussten als Antimonopole gegenüber den Monopolen der staatlichen Exekutive versagen.
Die Konzernstruktur der Staatsbetriebe und die Syndikatsstruktur der Parlamente sind für die dem Staatsmonopol ausgelieferten Tauschpartner (als Nutzer und Verbraucher staatlicher Dienstleistungen) ohnehin schon schlimm. Zu regelrechten Akzeptanzkretins werden sie dort, wo das Personal der Staatsmonopole dem Parlament selber entstammt, wo Legislative und Exekutive personell derart miteinander verflochten sind wie im Parteienstaat. Hier ist eine Konstellation verwirklicht, die nur willenlose Mündel als Abnehmer der „kollektiven Güter“ duldet.
Die Verflechtung der exekutiven Konzernstruktur der Exekutive mit der legislativen Syndikatsstruktur des Parlaments bewirkt, dass ein abnehmergerecht organisiertes Dienstleistungswesen in der Staatsgesellschaft nicht möglich ist. Der die Legislative mit der Exekutive verkettende Parteiismus lässt die Nutzer- und Verbraucherkontrolle gegenüber den Staatsmonopolen nur als gut in Szene gesetztes Schaustück zu.
Eine Politik, die durchgängig vom Parteiismus geprägt ist, ist so ziemlich das Unglücklichste, was einer Gesellschaft in ihrer Rolle als Versorgungs- und Rechtsgemeinschaft widerfahren kann. Nichts stellt die Untauglichkeit der parlamentarischen Demokratie für den vorgegebenen Zweck, nämlich die Sicherung der „König-Kunde“-Position der Abnehmer der von Monopolen erbrachten Güter (insbesondere der von den staatlichen Exekutiven erbrachten „kollektiven Güter“) in grelleres Licht als die schonungslose Analyse ihrer Struktur.
Der Parteiismus verhindert, dass Parlamente als wirksame Ver-braucherkontrollinstanzen gegenüber den monopolistischen Staatsbetrieben (der Exekutive) funktionieren. Eine weitere Funktionskontrolle der Staatstätigkeit soll eine Jury sein. Die Jury wird den Gerichten beigegeben, um der Gefahr der Willkür, die der Rechtsprechung genuin anhaftet (die „Tücken der Hermeneutik“; s. Teil 22), vorzubeugen.
Die Gerichte haben eine zentrale Stellung beim Rechtsschutz inne. Sie dirigieren die anderen Rechtsschutzeinrichtungen (Vollzuggewalt, Schadensersatzwesen). Insofern müsste eigentlich die den Gerichten beigegebene Jury eine besonders große Bedeutung für das Rechtswesen haben.
Für die Eindämmung der Willkür bei der Rechtsprechung (Funktion der Jury) ist in Deutschland das Schöffenwesen eingerichtet. Das „Grundgesetz“, in dem der eigentliche Ort für eine so wichtige Kontrollinstanz zu suchen gewesen wäre, schweigt zu diesem Thema. Es postuliert in seinen Artikeln 93 bis 98, dass diejenige gesellschaftliche Macht, die letztinstanzlich Rechtsschutz bieten soll, den Richtern zukommt. Keine Rede davon, dass den Richtern eine Jury beizugeben sei. Das erfährt man erst aus einem nachgeordneten Gesetz, dem Gerichtsverfassungsgesetz (§§ 28 ff GVG).
Die Jury wäre eigentlich einer der vornehmsten Gegenstände einer Verfassung. Allerdings ist ihr Status im deutschen Rechtswesen inzwischen so lachhaft, dass es niemand mehr ernsthaft unternimmt, wegen der Schöffen eine Verfassungsdiskussion vom Zaune zu brechen.
Es ist jetzt zu prüfen, ob durch die Schöffen beim staatlichen Rechtsschutzes eine juridische Kontrolle überhaupt stattfindet und wenn ja, ob und inwiefern die Kontrolle effektiv ist. Denn davon hängt das Urteil darüber ab, ob die „König-Kunde“-Position der Bürger gegenüber den Rechtsschutzmonopolen des Staates wirklich gesichert ist.
Das Schöffenwesen wurde geschaffen, um die Unabhängigkeit der Gerichtsurteile zu stärken und die Urteilenden gegen unstatthafte Eingriffe anderer gesellschaftlicher Mächte zu immunisieren. Um eine Vorstellung von der Wirksamkeit dieser Institution zu bekommen, sollten wir uns anschauen, wer und wie man in Deutschland Schöffe wird.
Zunächst gelangt der Schöffenaspirant aufgrund des Vorschlags von Parteien, Verbänden und Gemeinden - in manchen Regionen auch aufgrund eigener Initiative - auf eine Liste. Auf diesen Vorgang hat er keinen Einfluss. Aus der Liste wird er dann vom Staat ausgesucht und, manchmal auch gegen seinen Willen, einfach ernannt, also gewissermaßen zwangsverpflichtet. Murray Rothbard, der ein ähnliches Verfahren in den USA anprangert, spricht von „Jury-Sklaverei“ (2012). Außer bei den Handelsgerichten besteht für die Schöffen Annahmezwang bei ihrer Ernennung. Man fühlt sich bei solcher Art der Bestallung an das Ausheben einer Soldateska erinnert. Im deutschen Gerichtsverfassungsgesetz ist denn auch wörtlich von „Einberufung“ der Schöffen die Rede.
Dem aufgeklärten Rechtsdenken gilt das Schöffenwesen seit je her als politische und daher als eine von den Rechtsgenossen an der „Basis“ zu errichtende Institution (Alexis de Tocqueville, Paul Feuerbach). Heute bestimmen die Staatsoberen nicht nur die Richter, sondern auch die Schöffen. Das musste früher oder später dazu führen, dass die Jury nur noch eine Alibifunktion hat, dass es Schöffen gibt, die ungern und lustlos ihrer „öffentlichen Verpflichtung“ nachkommen.
Die Schöffen sind bei Gerichtsverhandlungen auf das Dafürhalten der Richter angewiesen. Den juristischen Staatsangestellten bleibt somit die Rechtsprechung mehr oder weniger allein überlassen. Die jedes Gerichtsurteil einleitende Formel „Im Namen des Volkes“ ist bloße Attrappe.
Der Staat spricht Recht. Der Untertan begnüge sich mit dem Rechtsvertrauen des „Müllers von Sanssouci“. Als Schöffe nickt er die Entscheidungen der Richterbeamten, auf deren Fachkenntnis er zählt und auf deren Moral er vertraut, oft nur noch ab. Das bedeutet, dass die erwünschte Kontrolle im Justizwesen sich auf ein Minimum reduziert bzw. ganz verloren geht.
Mit der Nichtbeachtung des Schöffenwesens - als einer eigenständigen juridischen Instanz bei Gericht - offenbart die deutsche Verfassung ein empfin