Fundamente, Kraftwerke und der Irrsinn des ewigen Wachstums
Ein Essay aus der Sicht eines Bauingenieurs
Ich bin Bauingenieur. Ich habe gelernt, dass jedes Bauwerk auf zwei Wahrheiten beruht:
Es steht nur, wenn das Fundament trägt. Es hält nur, wenn die tragenden Wände intakt bleiben. Das klingt banal – und doch ist es das Einzige, worauf es am Ende ankommt. Ein Fundament kann man nicht schönreden. Tragende Wände kann man nicht durch bunte Vorhänge ersetzen. Entweder sie tragen – oder sie brechen. Und genau so sehe ich auch unsere Gesellschaft und unsere Staaten.
Fundamente und tragende Wände – Menschenrechte statt Staatsrecht In meiner Welt sind die Menschenrechte das Fundament. Sie sind die tragenden Wände, die dem Gebäude „Gesellschaft“ überhaupt erst Form und Halt geben. Das Staatsrecht – all die Gesetze, Verordnungen, Verfahrensregeln – ist im besten Fall der Ausbau: Dächer, Fenster, Installationen. Nützlich, manchmal schön, aber nicht tragend.
Doch was sehe ich? Das Staatsrecht verhält sich zunehmend so, als sei es selbst das Fundament. Es stellt sich auf die Menschenrechte – und bohrt gleichzeitig Löcher hinein. Das ist, als würde man ein Haus sanieren, indem man tragende Wände herausreißt, um Platz für neue Möbel zu schaffen. Als Ingenieur weiß ich: Das geht eine Weile gut – und dann kracht es.
Der Mensch als Kraftwerk – und der Irrsinn der Zentralsteuerung Für mich ist der Mensch ein Kraftwerk. Jeder erzeugt Energie: körperlich, geistig, emotional, schöpferisch. Diese Energie ist nötig, um das eigene Leben zu führen und weiterzugeben. Doch unsere Systeme verhalten sich so, als könne man 8 Milliarden solcher Kraftwerke zentral steuern. Sie teilen die Welt in 190 Staaten auf, die wiederum von wenigen Machtzentren gelenkt werden – und glauben, diese Energie nicht nur erfassen, sondern auch „optimieren“ zu können.
Aus Ingenieurssicht ist das ein Planungsfehler ersten Ranges. Niemand würde auf die Idee kommen, alle Kraftwerke eines Kontinents von einem einzigen Stellwerk aus manuell zu regeln. Die Störanfälligkeit wäre unendlich. Die Abhängigkeit total. Die Resilienz null.
Und dann setzen wir diesem Wahnsinn noch die Krone auf: Wir bauen Systeme, die auf permanentes Wachstum ausgelegt sind. Aber wohin wollen wir wachsen, auf einem Planeten, der nicht wächst? Jeder Naturwissenschaftler weiß: Alles hat eine Wachstumsgrenze. In der Statik heißt das „maximale Belastung“. In der Biologie „Tragfähigkeit“. Wer diese Grenze ignoriert, baut auf Abriss.
Naturgesetze schlagen Staatsgesetze An dieser Stelle hilft auch kein moralischer Idealismus. Die Natur ist auf Entstehen und Vergehen gebaut. Wer das Vergehen verhindern will, muss das Entstehen so sehr überlasten, dass das System kollabiert. Ein Bauingenieur weiß: Wenn ein Gebäude altert, muss man es pflegen, instand halten, manchmal auch zurückbauen. Wer es einfach nur konservieren will, während es täglich beansprucht wird, überfordert die Struktur. Das ist kein politisches Statement – das ist ein Naturgesetz. Und Naturgesetze kann man nicht abwählen.
Wir sind im Kokon – und tun so, als wären wir schon der Schmetterling Viele reden vom großen Aufbruch, von der Eroberung des Weltalls, von neuen Welten. Ich habe nichts gegen Weltraumforschung. Aber wir kennen nicht einmal den Kern unserer eigenen Erde. Wir reden, als seien wir schon die reife Raupe, die sich frei bewegt – in Wirklichkeit sind wir im Kokon. Eine Phase der inneren Umstrukturierung, in der man nicht rennen kann, sondern wachsen muss. Wer diese Phase überspringen will, zerreißt die Hülle und beendet die Entwicklung, bevor sie begonnen hat.
Zukunft, Vergangenheit – und das ewige Stolpern Die Zukunft kommt von allein. Dafür muss niemand Pläne machen, er kann maximal in Wahrscheinlichkeiten operieren. Die Vergangenheit ist vorbei – aber sie zeigt uns unsere Fehler. Wer diese Fehler nicht bearbeitet, wiederholt sie. Schumpeter hat recht: Zerstörung kann Fortschritt bringen. Aber zu welchem Preis? Versuche, 1.000 Meter zu gehen, wenn du bei jedem zweiten Schritt stolperst. Und dann versuche dieselbe Strecke, nachdem du laufen gelernt hast. Der Unterschied ist atemberaubend. Kinder lernen laufen, weil jeder Fall abgefedert wird. Gesellschaften fallen oft ohne Schutz – und manche scheinen gar nicht lernen zu wollen. Sie verharren im Hinfallen und nennen das dann Fortschritt.
Die Bauingenieurs-Regel für Gesellschaften Als Bauingenieur halte ich mich an eine einfache Regel, die auch für Staaten gilt: Prüfe das Fundament. Sichere die tragenden Wände. Belaste nur, was dafür ausgelegt ist. Wer bei einem Bauwerk diese Reihenfolge ignoriert, muss den Einsturz einkalkulieren. Wer in einer Gesellschaft diese Reihenfolge missachtet, muss den Zusammenbruch einkalkulieren. Das ist keine Frage von Ideologie, sondern von Statik. Und Statik lügt nicht.
Fazit: Wir reden von Fortschritt, während wir das Fundament untergraben. Wir wollen ins All, während uns im Erdgeschoss die Decke auf den Kopf fällt. Wir wollen 8 Milliarden Kraftwerke zentral steuern, während wir nicht einmal das eigene Lichtschalterprinzip verstanden haben. Ich bin Bauingenieur. Für mich ist das kein politisches Problem. Es ist ein Konstruktionsfehler. Und Konstruktionsfehler korrigiert man – oder man trägt die Trümmer davon.