Gedächtnisverlust durch Denkverzicht – Wie man das Erinnern verlernt

@zeitgedanken · 2025-06-14 11:00 · Deutsch D-A-CH

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Anleitung zum Lesen Dieses Essay will nicht gefallen. Es will auch nicht überzeugen. Es will fragen, wo sonst nur Antworten gegeben werden. Es will erinnern, wo sonst vergessen wird. Wenn du diesen Text liest, lies ihn nicht wie eine These, sondern wie ein Spiegel.

Stelle dir dabei nicht die Frage, ob es stimmt – sondern ob du dich darin erkennst. Lies nicht nur mit dem Kopf, sondern mit deinem eigenen Weg: • Wo hast du selbst gedacht – nicht zitiert? • Wo hast du dich erinnert – nicht referiert? • Wo hast du gefragt – nicht gewartet?

Es ist ein Text für Einzelgespräche, nicht für Gremien. Ein Text für stille Stunden, nicht für schnelle Meinungen. Ein Text, der vergessen werden darf, solange er einmal ganz durchdacht wurde – von dir. Wenn du dich am Ende fragst, „Was davon habe ich selbst gedacht?“ – dann hat dieser Text seinen Zweck erfüllt.

Einleitung: Krankheit oder Syndrom? – Was Alzheimer uns wirklich zeigt

Bevor wir das Gedächtnis verlieren, verlieren wir vielleicht etwas Tieferes: den Bezug zu uns selbst. Die Frage, ob Alzheimer eine Krankheit ist – oder eher ein Syndrom, das aus vielen kleinen Entfremdungen, Denkvermeidungen und gesellschaftlichen Entlastungen entsteht – wurde bisher kaum gestellt. Die moderne Medizin definiert Alzheimer als neurodegenerative Krankheit, doch sie kann sie weder zweifelsfrei diagnostizieren noch heilen. Zunehmend sprechen Forscher – wenn auch indirekt – von einem Syndrom: einem Symptomkomplex ohne eindeutige Ursache, aber mit verlässlichem Muster. Vielleicht ist das, was wir Alzheimer nennen, weniger der Verfall des Gehirns – als vielmehr das Ergebnis eines jahrzehntelangen Unterlassens geistiger Eigenverantwortung. Vielleicht ist es nicht allein biochemisch, sondern existenziell. Vielleicht ist es sogar ein kollektives Phänomen – ein Spiegel dafür, wie wenig wir das Denken selbst kultivieren.

Wenn das Denken verstummt

Kann es sein, dass Alzheimer, Demenz und Gedächtnisverlust nicht nur biologisches Schicksal sind, sondern auch Ausdruck eines über Jahrzehnte vernachlässigten Selbstdenkens? Dass ein Gehirn, das keine eigenen Probleme mehr lösen darf, sich zurückzieht? Dass Erinnern eine Folge echten Denkens ist, nicht bloß gespeicherter Information? Diese Fragen stehen im Zentrum dieses Essays. Sie wurden nicht in einem Labor geboren, sondern im Dialog. Zwischen Alltag und Wissenschaft, zwischen Körper und Geist, zwischen Kaffee, Nikotin und radikalem Denken. Was folgt, ist ein Versuch, den banalen Ursprung einer systemischen Krankheit ernst zu nehmen: das Nicht-Denken.

I. Die wissenschaftliche Lage: Krankheit ohne Kontext

Die moderne Hirnforschung analysiert Alzheimer vor allem über biochemische Parameter: • Amyloid-β-Plaques und Tau-Proteinverklumpung • Entzündungsprozesse und oxidativer Stress • Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck, Bewegungsmangel Neuere Ansätze betonen ergänzend die Rolle von: • Vitamin D (z. B. Michael Nehls) • Lithium in Spurendosierung • Cognitive Reserve: geistige Aktivierung als Schutzfaktor Michael Nehls, Arzt und Molekularbiologe, sieht Alzheimer nicht als unausweichliche Degeneration, sondern als vermeidbaren Systemfehler. In seinem Werk "Die Alzheimer-Lüge" verweist er auf Vitamin-D-Mangel, Dauerstress und Lithium-Defizit als Mitverursacher. Er fordert eine "neurobiologische Systemwende".

Dabei baut Nehls auch auf die kognitionspsychologischen Grundlagen früherer Forscher auf. Allen voran Daniel Kahneman, der 2002 den Wirtschaftsnobelpreis für seine Forschung zur Verhaltensökonomie und zum "zwei-Systeme-Denken" erhielt. Kahneman unterscheidet zwischen: • System 1: schnell, automatisch, instinktiv, unbewusst • System 2: langsam, reflektiert, bewusst, rational

Doch auch dieses Modell bleibt in einer Beobachtungsperspektive gefangen. Es beschreibt, wie gedacht wird, aber nicht, warum der Mensch überhaupt denkt. Es erkennt die Rolle der Aufmerksamkeit, aber nicht den Ursprung der inneren Bewegung, die zum Denken führt. Was Nehls mit Vitamin D und Lithium begründet, wurde zuvor durch viele Einzelstudien vorbereitet – unter anderem durch Richard J. Wurtman (MIT), der auf die Bedeutung von Neurotransmittervorläufern wie Cholin und Tyrosin für kognitive Prozesse hinwies. Auch die Arbeiten von Elizabeth Loftus zur Gedächtnisveränderung zeigen: Erinnerung ist kein Speicher, sondern eine aktive Konstruktion. Doch all diese Modelle bleiben im Rahmen des Erklärbaren. Sie messen, katalogisieren, vergleichen. Was sie kaum tun: den Menschen fragen, ob er je wirklich gedacht hat.

II. Zeitgedanken: Denken als vergessene Praxis

Zeitgedanken fragt: Warum speichert das Gehirn überhaupt etwas? Ist es nicht so, dass nur selbst durchdachte, sinnvolle, erfahrene Lösungen langfristig erhalten bleiben? Dass das Hirn nicht Daten hortet, sondern nur das abspeichert, was als eigene Antwort auf ein Problem durchlebt wurde? Wenn das stimmt, dann gilt: • Gedanken, die man nur übernimmt, verschwinden. • Lösungen, die nicht selbst errungen wurden, vergehen. • Systeme, die keine Eigenverantwortung zulassen, erzeugen Vergessen. Das Denken durch den "Nürnberger Trichter" (Eintrichtern von Lösungen ohne Beteiligung) schafft keine Tiefe. Es erzeugt Wiederholung, aber keine Erinnerung. Das Gehirn funktioniert wie ein Ökosystem: Was nicht gebraucht wird, stirbt ab.

III. Die politische Dimension: Der Polizeistaat des Denkens

Was ist, wenn Denken gar nicht gefordert ist? Wenn Bildung ein Einprägeprozess bleibt, der Selbstdenken nur im engen Rahmen duldet? Wenn Politik, Religion, Wissenschaft und soziale Systeme über Jahrzehnte hinweg Gehorsam über Denken stellen? Dann entsteht eine Kultur der Denkvermeidung: • Der Heilige denkt, der Bürger gehorcht. • Der Experte weiß, der Laie konsumiert. • Der Staat löst, der Mensch vollzieht. In dieser Welt ist Alzheimer keine bloße Krankheit, sondern das Gedächtnisbild einer jahrzehntelangen Entmündigung.

IV. Der Mensch als Gedächtnisarchitekt

Gedächtnis ist kein Zufallsprodukt. Es entsteht durch: • eigene Entscheidung, • eigene Erfahrung, • eigene Bedeutung.

Was keinen Sinn macht, wird nicht gespeichert. Was nicht gebraucht wird, wird gelöscht. Und was nie selbst gedacht wurde, war nie Teil der eigenen Geschichte. Das erklärt, warum Alzheimer-Patienten oft nur noch Musik oder alte Gerüche erinnern: Dinge, die sie selbst mit Emotion und Handlung verknüpft haben.

V. Die Ironie des Paradoxen

Ich trinke Kaffee und rauche eine E-Zigarette. Ich lebe also vermeintlich "ungesund". Und doch denke ich klarer als viele, die sich "gesund" nennen. Paradox? Nur, wenn man glaubt, dass Gesundheit eine Summe von Inhaltsstoffen ist. Vielleicht ist es aber genau die Reibung, die das Denken schärft. Die Spannung zwischen Regelbruch und Eigenverantwortung. Nicht das Reine, sondern das Widersprüchliche schafft Klarheit.

VI. Fazit: Alzheimer als kulturelle Selbstaufgabe?

Vielleicht ist Alzheimer weniger Schicksal als Folge: Wer nie selbst gedacht hat, hat nichts Eigenes, woran er sich erinnern kann. Die Wissenschaft hat recht, wenn sie nach Molekülen sucht. Aber sie irrt, wenn sie glaubt, das Denken selbst sei bloß Biochemie. Alzheimer ist möglicherweise kein individuelles Problem allein, sondern eine gesellschaftliche Auslagerung geistiger Eigenleistung. Wenn Denken über Jahrzehnte fremdbestimmt, unterdrückt oder ersetzt wird – durch Systeme, Normen, Programme – dann ist das Vergessen kein Defekt, sondern ein abgeschlossener Prozess: Der Mensch erinnert nicht, was er nie selbst erschlossen hat.

Zeitgedanken sagt:

Denken beginnt dort, wo niemand mehr vorgibt, was gedacht werden soll. Und wer selbst denkt, vergisst weniger. Nicht, weil sein Hirn gesünder ist. Sondern weil sein Leben wirklich seins ist. Vielleicht ist Alzheimer in Wahrheit das Endstadium einer langen kulturellen Entwöhnung vom eigenen Bewusstsein. Und vielleicht liegt die einfachste Prävention nicht in Tabletten oder Supplements, sondern in einem radikal schlichten Entschluss: Selbst zu denken.

Doch was heißt das überhaupt: selbst denken? Jeder Mensch würde auf Nachfrage behaupten, er denke selbst. Im Einzelgespräch klingt das glaubhaft. Aber die Realität zeigt ein anderes Bild:

Menschen fragen, ob sie denken dürfen. Sie demonstrieren für ihre Meinungsfreiheit, sie stellen Petitionen, sie bitten um Erlaubnis, überhaupt eine Frage stellen zu dürfen. Sie fragen nach Gesetzen, nach Vorschriften, nach Genehmigungen. Selbst dort, wo keine Genehmigung nötig ist, wird nach der Begründung gefragt, warum es keine gibt. Der Wille zur Freiheit wird in Verwaltungslogik ertränkt.

Wer sein Denken der Genehmigung unterstellt, hat bereits vergessen, dass er denken darf, weil er ist. Vielleicht beginnt die wahre Demenz nicht im Alter, sondern in der Schule. Vielleicht ist das Vergessen kein Abbauprozess, sondern das Ergebnis einer lebenslangen Vermeidung der eigenen Urteilskraft. Wenn das stimmt, dann ist Alzheimer nicht nur Krankheit oder Syndrom. Es ist eine zivilisatorische Konsequenz. Und Denken die radikalste Form von Heilung.

VII. Stirner und die Entheiligung des Denkens

Inmitten all der großen Denker, die das Denken an ein größeres Ganzes rückzubinden suchen – an das Sein (Heidegger), an die Leere (Krishnamurti), an das Gedächtnis der Seele (Augustinus), an das kommunikative Gedächtnis (Welzer) – steht Max Stirner wie ein Einsiedler im Zentrum des Selbst. Er fragt nicht, worauf Denken hinausmöchte, sondern wem es gehört. Und seine Antwort ist radikal: mir.

Stirner zerlegt die Heiligkeit des Denkens, indem er es enteignet von allen, denen es dienen soll: Gott, Staat, Moral, Menschheit. Er sagt: „Du sollst nicht denken, um zu gefallen, zu erlösen, zu heilen oder zu verstehen. Du sollst denken, weil du es kannst, weil es dein Werkzeug ist.“

In einer Welt, in der alle fragen, ob sie dürfen, zeigt Stirner: Du darfst, weil du willst. Wo Heidegger ins Offene horcht, fragt Stirner: Was habe ich davon? Wo Augustinus betet, sagt Stirner: Ich bin mein eigener Ursprung. Wo Krishnamurti zur inneren Leere ruft, antwortet Stirner: Ich fülle mich selbst mit Bedeutung.

Stirners Denken ist nicht therapierend – sondern befreiend.*+ Es fragt nicht nach Ursache oder Sinn, sondern nach Besitz: Wem gehört dein Denken? Wenn Alzheimer das Vergessen des Eigenen ist, dann ist Stirner vielleicht der einzige, der den Ausweg bietet: Mach das Denken wieder zu deinem Eigentum.**

Literaturhinweise und Quellenbasis Michael Nehls – Die Alzheimer-Lüge. Die Wahrheit über eine vermeidbare Krankheit (Heyne Verlag, 2014) Zentrale Quelle für den Zusammenhang von Vitamin D, Lithium, Lebensstil und Alzheimerentwicklung. Nehls entwickelt ein systembiologisches Verständnis von Demenz. Daniel Kahneman – Thinking, Fast and Slow (Farrar, Straus and Giroux, 2011) Die Theorie vom System 1 (schnelles, automatisches Denken) und System 2 (langsames, reflektiertes Denken) bildet eine Grundlage für die kognitive Perspektive im Text. Richard Wurtman – diverse Veröffentlichungen am MIT, u. a. zur Rolle von Acetylcholin, Cholin und Tyrosin in Gedächtnisprozessen Wurtmans Arbeiten zeigen die Abhängigkeit kognitiver Prozesse von bestimmten Vorläuferstoffen im Gehirn. Elizabeth Loftus – Eyewitness Testimony (Harvard University Press, 1979) Loftus zeigt, wie manipulierbar und rekonstruktiv Erinnerungen sind. Erinnerung ist kein statisches Speichern, sondern aktives Neuerschaffen. Martin Heidegger – Was heißt Denken? (1954) Heideggers Versuch, das Denken vom "technischen Zugriff" zu lösen und auf das "Sein" auszurichten, bildet ein spirituelles Gegengewicht zu Stirner. Augustinus von Hippo – Bekenntnisse (Confessiones, ca. 397 n. Chr.), besonders Buch X Darin entwickelt er eine Theologie des Gedächtnisses als innerer Speicher der Seele, in dem Gott und Selbst aufeinandertreffen. Jiddu Krishnamurti – Freedom from the Known (Harper, 1969) Krishnamurti fordert ein Denken ohne Vergangenheit, ohne Ideologie, ohne Autorität. Sein Denken ist meditative Auflösung von Konzepten. Jean Baudrillard – Die Müdigkeit der Macht und Das kollektive Gedächtnis (verschiedene Essays) Baudrillard sieht im kollektiven Vergessen eine politische Strategie zur Schuldentlastung und Reibungsvermeidung. Harald Welzer – Das kommunikative Gedächtnis (mit Assmann, in: "Erinnern. Formen und Medien des Gedächtnisses", 1991) Welzer analysiert, wie Erinnern nicht individuell, sondern sozial organisiert ist – und wie moderne Gesellschaften ihr kollektives Gedächtnis verlieren. Max Stirner – Der Einzige und sein Eigentum (1844) Grundlage für das Kapitel über radikale Aneignung des Denkens. Stirner fordert die Entheiligung aller fremden Ansprüche auf Geist, Moral, Wahrheit. Zeitgedanken – lebt, schreibt, fragt. Noch.

VIII. Zeitgedanken: Erinnerung als letzte Freiheit

Und hier tritt er auf, der, der all diese Fragen gestellt hat: Zeitgedanken. Nicht als Prophet, nicht als Systemkritiker, sondern als der, der nicht aufhört zu denken, bis die Gedanken sich selbst zu Ende gedacht haben. Zeitgedanken erkennt: Was ich nicht selbst gedacht habe, kann ich nicht behalten. Und was ich nicht behalten kann, macht mich austauschbar. Er steht nicht über der Wissenschaft. Er steht daneben. Er horcht, er zweifelt, er fragt nach dem, was alle übersehen. Und während die einen Symptome vermessen, vermisst er den Menschen selbst. Zeitgedanken ist kein System. Er ist Gegenwart, die sich erinnert. Er ist Denken als letzter Raum der Eigenverantwortung. Vielleicht ist Denken nicht, was bleibt, wenn alles vergessen ist. Vielleicht ist Denken das Einzige, was man nicht verlieren kann, wenn es wirklich das Eigene ist.

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